Weiberabend: Roman (German Edition)
im heimischen Reich und bestrafen unsere Kinder in Übereinstimmung mit unserem esoterischen Wertesystem, ganz egal, wie obskur und rätselhaft dieses System dem Rest der Welt erscheinen mag. Aber nur wenige von uns haben diese Grenze überschritten und uns so weit vorgewagt, die Kinder anderer Leute zu disziplinieren. Schon gar nicht mit der flachen Hand. Diese Herrschergewalt zu usurpieren – auch wenn ihre rechtmäßigen Eigentümer sie allem Anschein nach aufgegeben haben – grenzt schon an Imperialismus. Aber für Ereka gelten wieder andere Regeln. Ich bin unsicher, tätschele ihr aber trotzdem den Rücken.
»In Afrika heißt es, man bräuchte ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen«, sage ich und denke an meine Kindheit in Afrika, wo ich sehr energisch von meinem Kindermädchen bestraft wurde – sie hat mir mit einem hölzernen Kochlöffel den Po versohlt. »Für Kinder trägt die ganze Gemeinschaft Verantwortung.«
»In Afrika vielleicht«, sagt Tam. Ich versuche, das nicht als Andeutung aufzufassen, dass ich eigentlich nicht in dieses Land der Ersten Welt gehöre.
»Ich glaube, man braucht nicht in Afrika zu sein, um zu akzeptieren, dass es nur vernünftig ist, wenn ein anderer Erwachsener mein Kind tadelt, weil es gerade Insekten quält oder Matsch in den Swimmingpool löffelt«, sage ich, ohne sie auch nur anzusehen. »Oder einem anderen Kind das Schmetterlingsnetz kaputt macht«, füge ich hinzu.
Meine Andeutung bleibt geheimnisvoll. Ich wette, Kieran hat ihr das nie erzählt. Wenn er es ihr erzählt hätte, hätte sie vermutlich zu ihm gesagt: »Es ist sehr kreativ von dir, dass du herausfinden möchtest, was passiert, wenn man Plastik verbiegt. Hier, warum probierst du es nicht mal am Staubwedel aus?«
»Ja, ich weiß, was du meinst, Jo«, sagt Helen. »Der Gedanke macht mich fertig, ich allein sei dafür verantwortlich, meinen Kindern beizubringen, dass sie sich nicht in aller Öffentlichkeit in der Nase bohren oder bei einem Notfall ruhig bleiben sollen, oder wie sie sicher die Straße überqueren. Ich bin froh, wenn andere Erwachsene mal einspringen. Manchmal kann ich meine eigene Stimme nicht mehr hören. Geht dir das nicht auch so?«, fragt sie Tam.
Tam zuckt mit den Schultern. »Ich finde eher, dass es meine Aufgabe ist, meine Kinder zu disziplinieren. Manche Dinge kann man nicht delegieren.«
»Glaub mir, Süße, man kann alles delegieren«, sagt Liz. »Lily ist der lebende Beweis dafür.«
»Das ist deine Entscheidung, Liz«, sagt Tam. »Aber ich wette, selbst du würdest dich ärgern, wenn ein Fremder Chloe und Brandon anschreit. Oder sie gar schlägt.«
Liz denkt kurz darüber nach. »Da hast du vermutlich recht, aber ich würde nicht mit der Wimper zucken, wenn du für mich einspringen würdest, weil ich gerade nicht in der Nähe bin. Dafür sind Freundinnen doch schließlich da, nicht?«
Wie aus einem Munde beginnen Helen und ich den Refrain von Dionne Warwicks ›That’s What Friends Are For‹ zu singen, furchtbar falsch. CJ stimmt mit ein.
Ich lege einen Arm um Helen, und wir schunkeln auf dem Sofa hin und her. Helen ist die Ersatzmutter meiner Kinder, und sie braucht nie um Erlaubnis zu fragen, sie nimmt die Dinge einfach in die Hand. Ich fühle mich ebenso berechtigt, ihrem Sohn Nathan deutlich zu machen, dass es böse und gemein ist, Aaron zum Zerquetschen von Insekten anzustiften, und dass Gott genauso zornig auf den ist, der zur Sünde anstachelt, wie auf den, der zerquetscht.
»Weißt du noch, als wir letztes Jahr zusammen im Urlaub waren und ich dich ein paar Stunden lang mit den Kindern allein gelassen habe?«, frage ich Helen.
»Ja, ich erinnere mich«, sagt Helen.
»Was ist passiert?«, fragt Tam, als müsse sie jede Einzelheit wissen.
»Helen stand im Flur und hat mit ihrem Autoschlüssel in der Hand auf mich gewartet, bereit zur Flucht, sobald ich zur Haustür hereinkomme – da war mir schon einiges klar. So übel gelaunt habe ich sie noch nie gesehen. Sie hat nur drei Worte zu mir gesagt: ›Dein verdammter Sohn.‹«
»Es war ziemlich hässlich«, sagt Helen.
»Und er hat nicht auf deinen Versuch reagiert, ihn zu disziplinieren?«, fragt Tam.
Helen lacht. »Klar doch, wie ein Stier auf ein rotes Tuch.«
»Du wirst schon sehen, er wächst da heraus. Er wird später sicher ein interessanter Mann«, sagt Tam gütig. Und das gehört zu den nettesten Dingen, die mir jemals irgendwer über Aaron gesagt hat. Ich erwidere ihr Lächeln mit übertriebener
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