Weiberabend: Roman (German Edition)
seines Lebens in Windeln zu verbringen. Die Vorschule, bei der er angemeldet war, nahm aber nur Kinder, die schon alleine zur Toilette gehen können. Der Brief, in dem die Anmeldung bestätigt wurde, erklärte in wohlmeinender Herablassung (ein verbreiteter Zug hiesiger Vorschulen): »Bitte stellen Sie sicher, dass Ihr Kind selbständig zur Toilette gehen kann. Wir müssen uns um fünfzig Kinder kümmern, und wir hätten gar keine Zeit mehr, Ihrem Kind irgendetwas beizubringen, wenn unser Personal die ganze Zeit damit zubringen müsste, kleine Hintern abzuwischen, nicht wahr?« Mir blieben drei Wochen, um Aaron von der Windel auf die Toilette zu schaffen. Und ich widmete mich dieser Aufgabe wie eine Besessene.
Damals war Aaron völlig fasziniert von Dinosauriern. Bis zu diesem Zeitpunkt war mein Wissensstand über Dinosaurier folgender: Sie lebten vor langer Zeit und sind inzwischen alle tot. Aaron hingegen konnte mit drei Jahren sämtliche lateinischen Namen rezitieren und war umfassend über die besonderen Ernährungsgewohnheiten und bevorzugten Lebensräume jeder Spezies informiert. Um mich für die Schlacht zu rüsten, kaufte ich klugerweise einen Haufen Plastikdinosaurier, meine Währung für die nun folgenden Verhandlungen. Ein Plastikdinosaurier für jedes große Geschäft auf der Toilette. Ein simples Geschäft. Ich dachte mir, wenn ein Kind den Unterschied zwischen einem Apatosaurus und einem Diplodocus kennt, müsste es alt genug sein, aufs Klo zu gehen. Ich erklärte Aaron mein System und erreichte durchaus Kooperationsbereitschaft seinerseits. Mein Plan erschien mir narrensicher.
Aber so glatt lief es nicht. Wir erreichten die erste Hürde, als Aaron sich weigerte, sich auf die Toilette zu setzen, »nur zum Spaß, wir unterhalten uns bloß ein bisschen«, wie mir die Bücher geraten hatten. »Helfen Sie ihm, sich mit der Toilette anzufreunden.« Aber als er dann wirklich ein großes Geschäft machen musste, gingen meine ruhigen, aber raffinierten Verführungsversuche mit einem neuen Tyrannosaurus Rex in seinem Gekreische unter – er wollte sofort eine Windel angezogen haben. Je lauter er schrie, desto mehr verschloss ich mein Herz. Je länger er sich weigerte, desto lebhafter stand mir Gretchen Oates, die Vorschulrektorin, vor Augen, die kopfschüttelnd sagte: »Bedaure, wir können keine Kinder aufnehmen, die einfach noch nicht so weit sind, selbständig zur Toilette zu gehen.« Nicht so weit sind, na warte. Ich würde ihn so weit kriegen. Mit einer Grausamkeit, die mich heute noch schaudern lässt, weigerte ich mich, ihm eine Windel anzuziehen. Stattdessen packte ich ihn und setzte ihn umstandslos auf die Toilette. »Nein, nein, nein«, kreischte er. Mit der ruhigsten Stimme, die ich unter diesen Umständen aufbringen konnte, erklärte ich ihm, dass ein wunderschöner Pterodaktylus, der mich jede Nacht wach hielt, weil er aus meinem Schrank rief: »Lass mich raus, lass mich raus, ich will zu Aaron«, nur ein großes Geschäft entfernt sei.
Aaron hörte für einen Moment auf zu brüllen und sah mich mit schmalen Augen an. »Ich will ihn halten«, befahl er.
»Erst, wenn du dein großes Geschäft in die Toilette gemacht hast«, sagte ich.
»Ich will ihn halten!!!«, brüllte er.
»Wirst du dann Aa in die Toilette machen?«, fragte ich. Er erklärte sich dazu bereit. Also holte ich den Pterodaktylus. Aaron saß auf der Toilette und umklammerte seinen neuen Dinosaurier.
»Ich muss nicht mehr Aa«, sagte er.
Also hüpfte er von der Brille.
»Gib mir den Dinosaurier zurück«, befahl ich.
»Nein, das ist meiner«, sagte er.
Ich riss ihm den unverdienten Dinosaurier aus der Hand und ignorierte sein Heulen und Toben mit derselben ruhigen Gelassenheit, die man aufbringen sollte, wenn ein tollwütiger Rottweiler mit Schaum vorm Maul im Wohnzimmer erscheint. Aber Aaron hat sich an mir gerächt. Zwei Minuten später putzte ich sein großes Geschäft auf, das er auf dem Weg vom Bad in den Garten gemacht hatte.
So zogen die Wochen ins Land. Ich kroch auf allen Vieren herum und erkaufte mir Kinderkacke mit Plastikdinosauriern. Das zähle ich zu den Tiefpunkten meines Lebens. Der Foltertheorie zufolge kann man durch häufige Wiederholung und starke Assoziation Menschen dazu bringen, so ziemlich alles zu tun. Es brauchte nur weitere fünf oder sechs Zwischenfälle dieser Art, bis Aaron den Dreh raushatte. Als die Vorschule anfing, besaß er eine riesige Dinosauriersammlung und konnte sein großes Geschäft
Weitere Kostenlose Bücher