Weihnachtszauber 02
Australien deportiert werden, können wir Einheimischen vielleicht endlich wieder für unseren Lebensunterhalt sorgen.“
„Trotzdem hättest du dieses Risiko niemals eingehen sollen. Hat Lord Holberton dich dazu veranlasst?“
„Er kam zu mir und erklärte, ich sei der beste Mann für diese Aufgabe.“
„Ah, das hat der Sohn des Marquess of Flete behauptet?“
„Schau nicht so überrascht drein, Fran. Ich mag noch jung sein. Aber ich bin keineswegs unfähig.“
„Das habe ich nicht gemeint.“
„Dieses Gespräch ist sinnlos“, seufzte Tom missgelaunt. „Vergessen wir die ‚Swift‘
und Lord Jack Holberton. So wie er uns vergessen hat.“
Seine Worte bedrückten Francesca. Natürlich klangen sie plausibel, und Tom gab ihr einen vernünftigen Rat. Aber in ihrem Herzen wusste sie es. So leicht würde sie nicht vergessen, was in jener Nacht geschehen war. Es verfolgte sie in ihren Träumen.
Sogar tagsüber kehrten die Erinnerungen immer wieder zurück. Und was ihr am seltsamsten erschien – jetzt empfand sie tiefere Gefühle als zum Zeitpunkt der aufregenden Ereignisse.
„An diesen Mann habe ich gar nicht mehr gedacht“, log sie und wich dem Blick ihres Bruders aus.
„Wenigstens ist auch was Gutes dabei herausgekommen. Da.“
Francesca wandte sich zu ihm und sah einen Geldbeutel in seiner Hand.
„Ausnahmsweise werden wir richtig Weihnachten feiern“, fügte er hinzu. „Ich habe schon Kohlen bestellt. Und wir können genug zu essen kaufen.“
Voller Misstrauen starrte sie den prall gefüllten Beutel an.
„Das ist mein Anteil an der Belohnung für Groselys Festnahme“, verkündete Tom.
„Nimm das Geld, Fran. Weiß Gott, du hast es genauso verdient wie ich.“
Langsam und zögernd streckte sie die Hand aus und ergriff den Beutel. Den restlichen Weg nach Portlemouth legten sie schweigend zurück.
Der Weihnachtsmarkt in Salcombe bestand aus farbenfrohen Buden, die sich an der Hauptstraße der Stadt aneinanderreihten. Wegen der dicht gedrängten Menschenmenge konnte man kaum von einer Seite zur anderen gelangen. Pasteten und Spielsachen aus geschnitztem Holz wurden feilgeboten, Jongleure und Zauberer gaben ihre Künste zum Besten. Überall duftete es nach frisch gebackenem Brot.
Während Lydia und Sophy einen Stand, an dem hübsche Porzellanfiguren angeboten wurden, bewunderten, ging Francesca zur Apotheke und kaufte eine Flasche Hustensaft für ihre Mutter. Danach bahnte sie sich wieder einen Weg durch das Getümmel. In der Tasche ihres Umhangs spürte sie das schwere Gewicht des Geldbeutels, der ihre Gedanken wieder einmal zu den Ereignissen an Bord der
„Swift“ lenkte – und zu Lord Holberton.
Sie kam zu einem Marktstand, an dem farbenfrohe Satin- und Seidenbänder im Wind flatterten. Über solche Geschenke würden sich ihre Schwestern sicher freuen.
Sie blieb stehen und berührte die glänzenden Streifen. Gewiss, von Toms Geld mussten sie eine Zeit lang zehren. Aber es war Weihnachten. Und die Mädchen verdienten eine nette Überraschung. Kurz entschlossen kaufte sie ein paar Bänder, außerdem eine Haube für ihre Mutter und ein Halstuch für ihren Bruder. Dann entdeckte sie eine Silberkette. Darin hing ein winziges silbernes Boot, das der „Swift“
glich. Langsam strich sie darüber. War es ein Zufall, der sie zu diesem Schmuck geführt hatte? Oder ein Wink des Schicksals? Wie auch immer, die schöne Halskette war zu teuer.
Nach einem letzten wehmütigen Blick auf das kleine Silberboot ging sie zu der Stelle, wo sie ihre Schwestern zurückgelassen hatte. Köstliche Düfte von gerösteten Kastanien, gebackenen Kartoffeln und Hackfleischpasteten stiegen ihr in die Nase.
Mochte der Tag auch kalt und grau und windig sein – auf dem Weihnachtsmarkt herrschte eine heitere, festliche Atmosphäre.
Sophy lief ihr entgegen. „Schau doch, Fran, dort gibt es heiße Kastanien. Die riechen wunderbar, nicht wahr?“ Sehnsüchtig schaute sie zu dem dampfenden Ofen hinüber.
Aber an Entbehrungen gewöhnt, hatte die Dreizehnjährige gelernt, nicht um Leckerbissen zu bitten, die sich die Familie nicht leisten konnte.
„Möchtest du welche essen?“, fragte Francesca und tastete nach dem Geldbeutel.
„Darf ich das?“ Sophy strahlte über das ganze Gesicht. „Wirklich?“
Das Herz krampfte sich ihr zusammen, als Francesca erkannte, welch übergroße Freude eine solche Kleinigkeit spenden konnte. Lächelnd legte sie die erforderlichen Münzen in die Hand des Mädchens, das mit
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