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Weil wir glücklich waren - Roman

Weil wir glücklich waren - Roman

Titel: Weil wir glücklich waren - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Stimme klang ein bisschen rau, aber sie war es.
    »Ich bin's. Veronica.«
    Eine Pause entstand. Ich konnte im Hintergrund Hupen hören, das Aufheulen eines Motors. »Veronica? Wo bist du? Warum sehe ich deine Nummer nicht?«
    »Ich telefoniere von einem öffentlichen Apparat aus. Hör mal ...«
    »Warum rufst du von einem öffentlichen Apparat aus an?«
    »Ich habe mein Handy nicht dabei. Mom, du musst herkommen und mich abholen. Ich bin in einem Hardee's in Topeka. Oder kurz vor Topeka. Es ist bei der Mautstelle.«
    Jetzt entstand eine sehr lange Pause. Ich überlegte, ob ich ihr vielleicht mehr erzählen sollte, aber ich war mir nicht sicher, ob sie überhaupt noch dran war.
    »Mom?«
    »Was machst du in einem Hardee's in Topeka?«
    Sie war es und war es doch wieder nicht. Es klang, als wäre sie schon von vornherein zornig gewesen, bereit für einen Streit.
    »Das ist eine lange Geschichte. Bitte, du musst mich hier abholen.«
    »Warum bist du in Topeka?«
    Ich hörte noch eine Hupe und Bowzers Gebell im Hintergrund. »Fährst du gerade Auto? Mom, hör mir zu. Es ist wichtig. Fahr rechts ran und hör mir zu.«
    »Ich fahre nicht Auto. Was machst du in Topeka? Es ist Freitagmorgen, Veronica. Du solltest im Unterricht sein.«
    »Das erzähle ich dir später. Du musst herkommen und mich abholen ...«
    »Das geht nicht.«
    Ich hielt den Hörer ein Stück von meinem Gesicht weg und starrte ihn an.
    »Ruf deinen Vater an. Er kann bei der Arbeit kommen und gehen, wie es ihm passt. Ich nicht.«
    Ich drückte den Hörer wieder an mein Ohr. »Mom, du verstehst nicht ...«
    »Nein, nein. Du verstehst nicht.« Sie brüllte. Es war schlimmer, als wenn mein Vater brüllte, denn ich war es nicht gewohnt. Sie klang kurz angebunden und angespannt. »Immer wenn irgendjemand irgendetwas gebraucht hat, war ich zur Stelle. Sechsundzwanzig Jahre lang habe ich alles für jeden getan. Das kann ich jetzt nicht mehr. Verstanden? Jetzt muss ich mich um mich selbst kümmern. Ich bin nicht mehr dein Chauffeur.«
    Ich hörte Metall klimpern, als die Münzen tiefer in den Apparat rutschten. Trotzdem blieb ich, wo ich war, den Hörer fest an mein Ohr gedrückt. Dass sie aufgelegt hatte, begriff ich erst, als ich das Freizeichen hörte.

Kapitel 6
    Es kostete einen weiteren Dollar, eine Nachricht auf der Mailbox meines Vaters zu hinterlassen. Meine restlichen dreiundvierzig Cent gab ich für eine kleine Tasse Kaffee aus. Ich schaffte es, die Bestellung aufzugeben, ohne zu weinen, obwohl meine Unterlippe wie bei einem Kind zitterte. Mein »Danke« war kaum zu hören. Ich setzte mich an einen Tisch am Fenster und drehte mein Gesicht zur Glasscheibe. Natürlich war ich nicht wirklich gestrandet. Ich hätte versuchen können, im Büro meines Vaters anzurufen - selbst wenn er bei Gericht gewesen wäre, hätte seine Sekretärin jemanden schicken können, um mich abzuholen. Ich hätte den Mann, der in der Ecke saß und Kaffee trank, nach ein paar Cent fragen können. Ich hätte die Frau an der Registrierkasse um Hilfe bitten können. Aber je länger ich dasaß, desto weniger fühlte ich mich imstande, irgendjemanden um irgendetwas zu bitten. Das Freizeichen hallte immer noch in meinem Kopf wider.
    Als die Zeiger auf dem orangefarbenen Ziffernblatt auf zehn Uhr standen, konnten die Leute bereits zügigen Schrittes von ihren Autos ins Lokal gehen. Die Sonne schien hell an einem wolkenlosen Himmel, und das meiste Eis auf dem Parkplatz schmolz bereits zu schmalen Rinnsalen, die in eine ölige, regenbogenfarben schillernde Pfütze neben dem Drive-in flossen. Wenn ich mich aufsetzte und an meinem Spiegelbild vorbei durch die Scheibe guckte, konnte ich den stetig dahinrollenden Verkehr beobachten. Trotzdem rührte ich mich nicht und machte auch keine Pläne. Ich verpasste meinen Laborunterricht, verpasste ihn in genau diesem Moment. Mein Hundshai würde in seinen Tiefkühlbeutel eingewickelt im Kühlschrank liegen bleiben und seine Geheimnisse für einen anderen Zeitpunkt, einen anderen Studenten aufbewahren.
    Um halb elf nahm ich mein Physiologiebuch aus der Tasche. Aber ich schlug es nicht auf. Ich wollte einfach nicht. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal einfach so dagesessen hatte, ohne irgendetwas zu tun.
    Als Elise und ich noch klein gewesen waren, hatte meine Mutter unsere aufgeschlagenen Knie und Schienbeine geküsst. Mein Vater, der bei so etwas eher zimperlich war, hatte sie darauf hingewiesen, dass sich bei einem Luftkuss

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