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Weil wir glücklich waren - Roman

Weil wir glücklich waren - Roman

Titel: Weil wir glücklich waren - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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beieinander, dass sich unsere Arme berührten. Wir waren alle miteinander verbunden, ein Kreis aus Schultern und Armen. Auf diesem Bild, das in unserem alten Haus über dem Kamin gehangen hatte und jetzt bei meinem Vater im Keller lag, lächelten wir alle. Ich dachte an Tim, an seine Hände in meinem Haar, an die Nachricht auf dem Zettel, den er an meiner Wange hinterlassen hatte.
    »Sie müssen mich aussteigen lassen.« Ich starrte so lange an die Decke der Fahrerkabine, bis meine Augen trocken waren. Dann lehnte ich mich vor und sah ihm ins Gesicht. »Hören Sie zu. Ich habe einen Vater und eine Mutter und eine Schwester. Ich habe Freunde, und sie lieben mich. Sie lieben mich! Meine Eltern lieben mich. Verstehen Sie? Ich bin jemandes Tochter. Lassen Sie mich raus!« Meine Stimme war ruhig und gelassen, aber sehr fest. »Sie lassen mich jetzt sofort aussteigen.«
    Er hob seine Hand und schirmte seine Augen ab, als wollte er mich aus dem Blickfeld haben. Dann schaute er in den Rückspiegel und fuhr sich mit einer Hand über die Stirn.
    Ich wandte mich wieder ab und starrte nach unten auf die Fahrbahn. Ich konnte nicht aus dem Wagen springen. Ich würde mir wehtun und wäre draußen in der Kälte, kein Mensch in der Nähe, der mir helfen konnte, und wahrscheinlich nicht in der Lage, zu laufen. Die Sonne war durch die Wolken gebrochen, und das Eis auf den Bäumen und Feldern funkelte wie eine Million winziger Glasscherben. Das helle Leuchten eines sonnenüberfluteten Edelsteins. Meine Mutter liebte Mark Twain, und ich konnte mich daran erinnern, dass sie nach jedem Schneesturm diesen Satz zitiert und dabei glücklich aus dem Auto oder Küchenfenster geschaut hatte. Ich behielt die Worte im Kopf und klammerte mich an ihnen fest, während ich meine Hände in den Handschuhen zu Fäusten ballte. Das helle Leuchten eines sonnenüberfluteten Edelsteins.
    Der Lastwagen rollte weiter, und wir kamen an einer Reklametafel vorbei, die für ein Hotel mit Innenpool in Topeka warb, nur fünfzehn Meilen von hier entfernt. Hoch am Himmel kreiste ein Falke. Ich war schon einmal auf diesem Abschnitt der Autobahn gewesen, bei einem Schulausflug zum Staatskapitol. Aber das war an einem sonnigen Apriltag gewesen, als Kühe auf den Weiden gegrast hatten und ein Fohlen an einem Zaun entlanggeprescht war.
    Ich drehte den Kopf leicht in die Richtung des Fahrers und ließ meinen Blick umherwandern. Ein Eiskratzer lag auf dem Armaturenbrett, viel näher bei ihm als bei mir, und eine große Taschenlampe steckte in einem Sportbeutel, der über seiner Sitzlehne hing. Außerdem ragte der Abschnitt eines Tickets aus einem Aschenbecher neben dem Lenkrad. Mein Blick verharrte darauf, und mein Atem beruhigte sich: Wir waren ja auf einer gebührenpflichtigen Straße.
    Ich blieb ganz ruhig und starrte unverwandt nach vorne. Um die Straße zu verlassen, würde er Maut bezahlen müssen. Es würde eine Kasse mit einem Angestellten geben. Manche Leute besaßen spezielle Vignetten, mit denen sie einfach durchfahren konnten, aber ich konnte nichts dergleichen auf seiner Windschutzscheibe entdecken. Er kam von außerhalb und war auf der Durchfahrt. Ich hob mein Kinn, atmete tief ein und blickte auf die Straße, die vor uns lag.
    Er langte herüber, um die Heizung niedriger zu stellen. Als ich ihn ansah, stellte ich fest, dass seine Schläfen und Unterarme von Schweiß glänzten. »Ich lass dich raus«, versprach er. »Aber nicht hier, nicht auf der Straße. Ich lasse dich in Topeka raus. Oder bei der nächsten Ausfahrt, was auch immer.«
    »Okay«, stimmte ich zu. »Ich glaube Ihnen.«
    »Ich wollte dir nichts tun.« Lachend sah er mich an, als wäre allein die Vorstellung lächerlich. »Ich war bloß abgelenkt, weißt du, von deinem Gerede. Du redest viel. Ich bin es nicht gewohnt, jemanden hier zu haben, der redet.«
    »Klar«, gab ich zurück. Ich brachte ein - wie ich hoffte - überzeugendes Lächeln zustande. »Klar. Das verstehe ich.«
    Wir waren immer noch ein ganzes Stück von Topeka entfernt, als ich direkt vor uns die Wimpel einer Raststätte mit Tankstelle sah. Die Ausfahrt, die zu ihr führte, war auf halbem Weg einen Hügel hinauf. Es war eine Mautstation, ein geschlossener Bogen, ohne jede Möglichkeit, sich vor der Gebühr zu drücken.
    Ich hob meine Hand und zeigte mit dem Finger darauf, als ob mir das vorher etwas genützt hätte. »Da«, sagte ich wieder. »Ich steige einfach aus ...«
    »Ich weiß«, erwiderte er gereizt. Er schaltete, und so

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