Weil wir glücklich waren - Roman
etwas?«, fragte ich. »Hast du ... hast du Hunger?«
Sie schüttelte den Kopf, die Augen auf das dunkle Fenster und die orange Straßenbeleuchtung über dem Parkplatz gerichtet. »Ich habe noch ein nettes Mädchen kennengelernt«, sagte sie. »Gerade eben, im Badezimmer. Inez? Aus Albuquerque? Kennst du sie?«
Ich runzelte die Stirn. »Du sollst dich doch bedeckt halten.« Inez kannte ich nicht. Ich warf einen Blick auf mein Chemiebuch, das auf meinem Schreibtisch auf mich wartete. Heute Nacht würde ich nicht mehr lernen können, es sei denn, ich ging raus, aber dann würde ich sie später aufwecken, wenn ich zurückkam.
»Ich habe bloß Hallo gesagt, Liebes.« Sie legte den Tiefkühlbeutel in ihre Tasche zurück und strich mit ihrer freien Hand über Bowzers Rücken. »Ich wollte nicht unhöflich sein. Kennst du sie nicht? Sie wohnt gleich hier den Gang hinunter. Weißt du, ich glaube, ich bin in meinem ganzen Leben noch nie jemandem aus Albuquerque begegnet.«
Ich schnappte mir meinen kleinen Behälter mit Waschzeug und machte mich auf den Weg zum Bad. Hoffentlich würde sie den Wink verstehen und in meiner Abwesenheit ihren Schlafanzug anziehen. Ich hatte sie seit der elften Klasse, als wir zusammen zum Sport gegangen waren, nicht mehr unbekleidet gesehen. Die gemeinsame Mitgliedschaft war meine Idee gewesen: Ich wollte Yoga machen, aber ich wusste, dass sie möglicherweise nicht begeistert von der Idee war, dass ich noch einen Kurs besuchte oder mir ein weiteres Hobby zulegte, weil sie mich dann an zwei weiteren Nachmittagen in der Woche hinfahren und abholen musste. Deshalb hatte ich ihr den Yogakurs als etwas verkauft, das wir zusammen machen könnten. Ich wolle nicht bloß Yoga machen, hatte ich behauptet. Ich wolle es mit ihr machen!
Meine Motive waren nicht nur egoistisch gewesen. Ich hatte wirklich geglaubt, es würde ihr guttun. Damals lebten noch beide Großmütter, und sie verbrachte viel Zeit damit, zu den jeweiligen Pflegeheimen zu fahren, die beiden zu besuchen und Besorgungen für sie zu machen. Meine Mutter hatte in jenem Jahr zugenommen, nicht viel, aber genug, um die Stirn zu runzeln, wenn sie sich beim Vorbeigehen im Flurspiegel sah. Trotzdem erklärte sie oft, wenn sie mich von der Fahrschule abholte, dass sie zu müde sei, um etwas zu kochen oder auch nur einen Salat zu machen. Deshalb fuhren wir meistens zu einem Drive-in und tauschten, nachdem wir etwas zu essen bestellt hatten, die Plätze, damit ich auf dem Heimweg das Fahren üben konnte. Meistens nahm sie einen Schokoeisbecher und aß ihn gleich im Wagen, gab mir Tipps und blieb erstaunlich gelassen, während ich vorsichtig lenkte und schaltete. Ich konnte es kaum erwarten, meinen Führerschein zu bekommen und allein zu fahren, aber bis es so weit war, waren die Fahrten mit meiner Mutter gar nicht schlecht. Ihre Gesellschaft war mir bei Weitem lieber als die meines humorlosen Fahrlehrers oder meines leicht erregbaren Vaters. Sie überließ es mir, den Radiosender auszusuchen, solange die Musik leise genug war, um ihre Anweisungen und Warnungen hören zu können.
Und dann, eines Abends, als wir gerade in unsere steile Auffahrt biegen wollten, fragte ich sie, ob wir nicht weiterfahren könnten, ob ich nicht noch eine Runde durch die Nachbarschaft drehen könnte. Sie zuckte die Achseln und tauchte den Plastiklöffel in ihren Eisbecher. »Meinetwegen«, murmelte sie. »Das ist für mich die schönste Zeit des Tages.«
An jenem Abend schlug ich im Internet »Depression« nach. Experten rieten den Erkrankten zu körperlicher Betätigung, Ruhe und Zeit mit geliebten Menschen. Ich beschloss, dass Yoga und noch mehr Zeit mit mir meiner Mutter helfen könnten.
Aber wie sich herausstellte, war sie nicht interessiert, wenigstens nicht an Yoga. Sie sagte, sie wünsche sich etwas Intensiveres - sie habe vor Kurzem davon geträumt, etwas Schweres hoch über ihren Kopf zu hieven, und sich im Traum sowohl darüber gewundert, wie schwer der Gegenstand war, als auch darüber, dass sie überhaupt imstande war, ihn hochzuheben. Und wenn sie die letzten zwei Jahre etwas gelernt habe, dann, dass sie keine Osteoporose bekommen wolle. Sie schaute im Programm nach und stellte fest, dass im Fitnessstudio ein Gewichtheberkurs namens KRAFTLAGER stattfand - und zwar zur selben Zeit wie der Yogakurs, den ich belegen wollte. Was für ein Zufall, hatte sie gesagt. Ein Wink des Himmels. Sie beteuerte, dass es sehr aufmerksam von mir sei, an sie zu denken. Wir
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