Weil wir glücklich waren - Roman
schwachen Konturen ihrer Rippen frei.
Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und schlug mein Chemiebuch auf - eine Seite mit dem Diagramm irgendeiner chemischen Reaktion -, um etwas anderes anschauen zu können als sie. »Warum hast du mir nicht gesagt, dass du Geldsorgen hast?«
Sie antwortete nicht, und ich blickte nicht auf, um ihr ins Gesicht zu gucken oder in ihrer Miene einen Hinweis zu finden. Ich hörte einen Reißverschluss aufgehen, dann einen tiefen Seufzer. Unverwandt starrte ich auf mein Buch, die Stirn in gespielter Konzentration gerunzelt. Ich hätte damals genauso wenig wie heute sagen können, welches Molekül ich eigentlich anstarrte.
»Falls du noch aufbleiben willst, ich kann auch bei Licht schlafen«, sagte sie.
Ich hob den Kopf. Sie hatte meine Leggings und mein Sweatshirt an und kroch gerade unter die Bettdecke. Bowzer, der am Fußende lag, stand auf, streckte sich und kroch vorsichtig nach oben in ihre Arme. »Es stört mich nicht«, fuhr sie fort. »Dein Vater hat immer im Bett ferngesehen, und ich habe mich daran gewöhnt. Ehrlich, ich bin so müde, dass ich bestimmt sofort einschlafe.«
Das stimmte nicht. Sie hatten immer wieder wegen des Fernsehers gestritten. Mein Vater schloss ihn gern an einen Timer an, damit er beim Fernsehen einschlafen konnte. Meine Mutter hatte eine Augenmaske und Kopfhörer, über die sie leise Musik hörte, aber sie hatte immer gesagt, sie könne das Flimmern des Bildschirms und das Surren nicht völlig aussperren. Sie müsse im Dunkeln schlafen. Im letzten Jahr vor der Scheidung war ich zweimal nachts aufgewacht und hatte festgestellt, dass sie in Elises altem Zimmer schlief.
»Schon gut.« Ich klappte das Buch zu. »Um diese Zeit gehe ich normalerweise auch schlafen.« Ich stand auf und schaute mich um. Sie hatte ihre Taschen neben das Bett gestellt - geschlossen, ordentlich aufgereiht und aus dem Weg geschoben.
»Brauchst du noch etwas?« Ich stand neben dem Lichtschalter, den Blick auf ihre Taschen geheftet. »Möchtest du ein Glas Wasser oder sonst was? Ich kann dir was holen, kein Problem.«
Sie schüttelte den Kopf. Ihr Kopf lag schon auf dem Kissen, ihre Augen waren geschlossen. Bowzer kuschelte sich an sie. »Trotzdem danke«, sagte sie.
Ich drehte das Licht ab, blieb einen Moment stehen und überlegte, ob ich sie bitten sollte, sich nicht ständig zu bedanken. Nein, entschied ich. Das würde alles noch peinlicher machen. Wir würden uns beide noch mieser fühlen.
Ich hatte mich fast bis zu meinem Bett getastet, als sie zu reden anfing.
»Ich habe einfach kein Geld mehr.« Ihre Stimme kam aus der Dunkelheit, monoton und sachlich - wie ein Reporter, der über ein Unglück berichtet, das anderen zugestoßen ist. »Das ist wirklich alles, was ich dir sagen kann. Es gibt kein Geheimnis. Das ist einfach alles, was ich weiß. Ich hätte nicht das Haus statt des Geldes nehmen sollen. Das war mein erster Fehler. Ich dachte, ich könnte es nicht ertragen, es aufzugeben, aber letzten Endes musste ich es doch verkaufen. Inzwischen war der Immobilienmarkt schlecht, und es dauerte lange, bis sich ein Käufer fand. Ich habe Elise und dir nichts davon erzählt, weil ich nicht wollte, dass ihr euch Sorgen macht. Und dann war Schimmel auf dem Dachboden, ein Wasserschaden. Dan behauptet, es sei passiert, nachdem er ausgezogen war und dass es nicht seine Schuld ...«
Sie brach ab, wahrscheinlich, weil ihr einfiel, dass Dan mein Vater war. Ein paar Minuten lang lagen wir schweigend da. Ich konnte auf dem Parkplatz einen Motor aufheulen hören, und aus einem anderen Zimmer drangen gedämpfte Fernsehgeräusche herüber. Meine Mutter ist obdachlos, dachte ich. Meine Mutter ist obdachlos und wohnt bei mir im Studentenwohnheim. Ich war melodramatisch. Ganz so war es ja gar nicht. Sie brauchte nur einen Platz, wo sie kurz bleiben konnte, und zwar nur wegen des Hundes.
Sie räusperte sich und setzte dann neu an. Alles in allem sei niemand schuld, sagte sie. Sie sprach von einer Reihe unglücklicher Vorfälle, von denen einer nach dem anderen über sie hereingebrochen sei. Im September hatte sie sich an einem Popcornkern einen Backenzahn abgebrochen und musste eine Wurzelbehandlung machen lassen, aber sie war nicht mehr bei meinem Vater mitversichert. Sie suchte immer noch nach einer festen Anstellung als Lehrerin, etwas mit Zusatzleistungen, aber es war natürlich nicht leicht, weil seit ihrem Studium über zwanzig Jahre vergangen waren. Doch sie übernahm Vertretungen
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