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Weil wir glücklich waren - Roman

Weil wir glücklich waren - Roman

Titel: Weil wir glücklich waren - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Arm, um die Autoschlüssel aus seiner Jackentasche zu holen. »Kann ich dich vielleicht mitnehmen?«
    »Nein ... ich ...« Vage deutete ich auf die Regalreihen. »Ich warte bloß auf ein paar Freunde.« Ich entdeckte Jimmy in der Abteilung für Glückwunschkarten. Er nahm eine Karte aus dem Ständer, las sie und stellte sie zurück, bevor er nach der nächsten griff. Dann blickte er auf, sah, dass ich ihn beobachtete, und winkte. Haylie stand neben ihm und blätterte in einer Allure.
    »Tja, heute Abend kommt Tim also zurück«, sagte er. »Das weißt du bestimmt.«
    Ich nickte. Ich versuchte, keine Miene zu verziehen.
    »Du ziehst vielleicht ein, stimmt's? Wenn ich ausgezogen bin? Er hat gesagt, dass du es dir überlegst.«
    Ich bewegte leicht den Kopf mit einer Geste, die weder ein Nicken noch ein Kopfschütteln war. Aus der Stereoanlage kam Get Outta My Dreams, Get Into My Car.
    »Du solltest das machen«, sagte er. »Es ist eine tolle Wohnung.« Er schaute weg und wirkte nervös. Noch nie hatte er mit mir gesprochen, ohne dass Tim dabei gewesen wäre. »Außerdem glaube ich, es würde ihn echt glücklich machen, weißt du.« Jetzt sah er noch verlegener aus, ließ aber nicht locker. »Ich finde, es ist das Beste, was ich machen kann, weißt du - auszuziehen und dir Platz zu machen. Tim war immer ein guter Freund.«
    Als Rudy gegangen war, schaute ich wieder zu den Regalen. Jimmy betrachtete immer noch Glückwunschkarten. Es war fast zehn Uhr. Tim war bestimmt schon längst auf der Rückfahrt und mittlerweile wahrscheinlich schon im Süden von Iowa. Jimmy hob den Kopf und winkte wieder. Ich winkte zurück und lächelte. Er glaubte sicher, dass er mich fertigmachte. Aber ich hatte auf einmal keine Eile mehr, irgendwohin zu kommen. Er verschwendete bloß seine Zeit.
    Kurz nach Mitternacht war ich im Wohnheim. Als ich meine Mutter vor meinem Zimmer sitzen sah, nahm ich zunächst an, sie wäre wegen ihres Handys gekommen. Ich ging zu ihr und schüttelte den Kopf. Ich hatte noch einmal nach ihrem Handy gefragt, als ich Jimmy und Haylie vor ihrem Haus abgesetzt hatte. Jimmy hatte geantwortet, er sei sich nicht sicher, wo er es hingelegt habe, aber er werde es suchen und wahrscheinlich finden, wenn sein Wagen repariert sei. Ich versuchte mir zu überlegen, wie ich das alles meiner Mutter erklären sollte, und versuchte abzuschätzen, wie lange unser Gespräch dauern könnte. Eine halbe Stunde, vielleicht länger. Sie würde alle möglichen Fragen und Bedenken haben. Ich musste mindestens noch ein Kapitel in meinem Chemiebuch lesen, bevor ich ins Bett ging.
    Sie schaute nicht auf, als ich näher kam. Sie lehnte mit dem Rücken an meiner Tür, die Beine ausgestreckt, einen gummibesohlten Stiefel über den anderen gelegt. Ihr langer, grauer Mantel war wie eine Decke über sie gebreitet. Ich blieb stehen, und sie blickte auf. Sie hatte geweint.
    »Hi«, sagte ich.
    Meine Mutter rappelte sich hoch. Der Saum ihres Mantels blieb unter ihrem Stiefel hängen, sodass sie beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Ich streckte meine Hand aus, und sie hielt sich daran fest, als sie sich mit einem Lächeln aufrichtete.
    »Hi«, sagte auch sie. »Ich habe eins der Mädchen von deinem Stockwerk kennengelernt.« Ihre Stimme war leise und rau. »Marley? Sie spielt Waldhorn?«
    Über uns hämmerte ein dumpfer Reggae-Rhythmus. Ich zog meine Handschuhe aus und stopfte sie in meine Jackentaschen. Dann wartete ich, ohne den Blick von ihr abzuwenden.
    Sie hielt einen Finger hoch, holte ein Taschentuch aus ihrer Manteltasche und schnäuzte sich. »Ich bin hier, weil ...« Sie starrte an die Wand hinter mir. »Veronica, ich bin hier, weil ich irgendwo bleiben muss.«
    Meine Gedanken überschlugen sich bei dem Versuch, eine akzeptable Erklärung zu finden: Ihr Van war kaputtgegangen, sie hatte ihre Schlüssel verloren und konnte erst morgen früh Ersatzschlüssel bekommen. Die inakzeptable - dass sie sich mit dem Freund, den ich mir ausgedacht hatte, gestritten hatte - trieb sich irgendwo in meinem Hinterkopf herum.
    Sie nickte geduldig angesichts meiner Begriffsstutzigkeit, meiner hartnäckigen Weigerung, ihre Lage zu begreifen.
    Ich schaute auf den Boden. Sie hatte auf einem Stapel zusammengelegter Laken und Decken gesessen. Ich erkannte die Chenilledecke, die auf unserer Wohnzimmercouch gelegen hatte, und den geblümten Bezug für das Bett, auf dem ich jahrelang geschlafen hatte. Auf einmal schien der Boden sehr weit weg und kein bisschen

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