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Weil wir glücklich waren - Roman

Weil wir glücklich waren - Roman

Titel: Weil wir glücklich waren - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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würden ja während der Fahrt ein bisschen Zeit miteinander verbringen.
    Am Anfang war sie nicht sehr glücklich. Sie war zu gehemmt, um etwas anderes als eine weite, schwarze Hose und ein Schlabberhemd zu tragen, und sie kam immer mit hochrotem Gesicht und schweißnass aus dem Kurs. Zu Hause bewegte sie sich steifbeinig und zuckte ständig zusammen, wenn sie Staub saugte oder sich bückte, um Bowzers Leine anzulegen. Aber dann zeichneten sich die ersten leichten Wölbungen an ihren Oberarmen ab. Und eines Tages hob sie im Supermarkt ohne Vorwarnung ihre Hand und ballte sie zur Faust, damit ich ihren Bizeps fühlen konnte. Sie fing an, im Wohnzimmer Liegestütze zu machen, während mein Vater die Nachrichten guckte. Gegen Ende des Frühjahrs teilte sie meinen Großmüttern und ihren Betreuern mit, dass sie vor zehn Uhr morgens nun leider keine Termine mehr wahrnehmen könne, und belegte einen Kurs in Tae Bo. Sie führte mir die Schläge und Hiebe in der Küche vor. Dabei bewegte sie sich wie ein Schattenboxer, manchmal lachte sie über sich selbst, manchmal nicht. Ihre Beine wurden schlank und muskulös, und sie kaufte sich knappe Tops in verschiedenen Farben.
    Im Juni wurde es zu heiß, um nach dem Kurs verschwitzt ins Auto zu steigen, deshalb nahmen wir frische Kleidung für die Heimfahrt sowie Handtücher und Shampoo mit. Es war nicht so, dass sie sich im Umkleideraum nackt zur Schau gestellt hätte. Sie wickelte sich ein Handtuch um, bevor sie aus der Duschkabine trat. Aber gelegentlich schaute ich zum falschen Zeitpunkt hin und erhaschte einen Blick auf ihren Körper, und es bereitete mir jedes Mal Unbehagen. Ich wusste nicht, warum. Ich hatte sie in meiner Kindheit oft genug nackt gesehen, wenn ich gerade ins Bad kam, während sie unter der Dusche oder auf der Toilette war, und einmal - furchtbar! Ich war damals neun - rittlings auf meinem Vater, der in seinem Bürosessel saß. Der Anblick ihrer vollen Brüste und der dunklen, nach unten weisenden Brustwarzen war mir ebenso vertraut wie das helle Fleisch ihres Bauches mit den Zickzacknarben von zwei Kaiserschnitten, das dunkle Schamhaar, das mich als Kind fasziniert und erschreckt hatte, und die feinen, blauen Adern, die in Schlangenlinien auf den Außenseiten ihrer Oberschenkel verliefen. All das war vertraut. Das, was ungewohnt und für mich seltsam befremdlich war, war die neue, schlanke Gestalt, die deutliche Kurve zwischen ihren Hüften und ihrer Taille, ihr beneidenswert straffer Bauch.
    Irgendwann nach der Scheidung hörte sie mit ihrem Training auf. Sie war immer noch dünn, aber jetzt sah es einfach so aus, als wäre es vor Müdigkeit oder sogar Erschöpfung. Die Muskeln an ihren Armen waren verschwunden. Auch so wollte ich sie nicht sehen. Heute Abend - ganz besonders heute Abend - wollte ich sie nicht einmal ein bisschen unbekleidet sehen. Ich brauchte die Illusion von Ordnung, von Distanz. Wir waren keine Freundinnen, nicht einmal Zimmergenossinnen. Sie war nach wie vor meine Mutter und würde nur für eine kurze Zeit bei mir wohnen.
    Als ich wieder ins Zimmer kam, hatte sie immer noch ihren Mantel an, bis oben zugeknöpft, darunter den cremefarbenen Pullover und die braune Kordhose. »Äh, kann ich ...« Sie saß am Fußende des Gästebettes. Ihre Beine waren übereinandergeschlagen, eine Hand ruhte auf Bowzer. Sie hatte ihre Stiefel ausgezogen, und man sah die rosa Socken, die sie sich von mir geborgt hatte. »Ich habe meinen Schlafanzug vergessen. Er ist unten im Van, meine ich. Kannst du mir etwas geben?«
    Ich gab ihr ein paar Leggings und ein langärmeliges Sweatshirt mit dem Aufdruck TWEETE HALL STAFF, das ich bei meiner Ausbildung bekommen hatte.
    »Aah!« Sie hielt es sich vor die Brust und schwenkte den Kopf hin und her, sodass ihr lockiges Haar ihre Schultern streifte. Ihre kleinen, silbernen Ohrringe bewegten sich nicht. »Jetzt bin ich eine von der Gang. Dafür war es das Ganze wert. Wirklich.«
    Ich betrachtete ihr lächelndes Gesicht. Es war schwer zu sagen, ob sie bloß blödelte oder ob tatsächlich etwas mit ihrer Aufmerksamkeitsspanne passiert war. Wie auch immer, sie schien mein Schweigen als Tadel aufzufassen - als sie aus ihrem Mantel schlüpfte, wandte sie sich ab.
    »Ich werde dir alles erzählen«, versprach sie, während sie mit einem schnellen Ruck ihren Pullover über den Kopf zog. Das T-Shirt, das sie darunter trug, kam gleich mit und gab den Blick auf einen beigen BH und - als beide Arme nach oben gestreckt waren - die

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