Nun, ich hatte ja auch meine Schuldigkeit getan – weshalb also noch nett sein?
Als ich wieder in meinem Zimmer war, fand ich die Antwort meines Vaters vor:
An:
[email protected]Von:
[email protected]Betreff: Bin stolz auf dich!
Liebe Sarah,
ich bin froh und glücklich, eine so wachsame und kluge Tochter zu haben. Natürlich war die Reihenfolge nicht ganz optimal, aber das wirst du beim nächsten Mal bestimmt besser machen. Hast du die Fotos des Shootings? Ich würde mich freuen, sie auf meinem Rechner zu haben, dann könnte ich Bilder von meiner schönen Tochter bestaunen, wenn ich mich einsam fühle.
Schlaf gut, meine Kleine.
Bis bald,
dein Dad
9
Spieglein, Spieglein an der Wand.
Wer ist die Schönste im ganzen Land?
Nun, sie selbst war es scheinbar nicht mehr, dachte die Frau und schlug voller Wut auf den größten Spiegel in ihrem Zimmer ein. Sie brauchte die Antwort gar nicht erst abzuwarten, denn zumindest was DiandraBeauty betraf, war die Sache eindeutig: Sie wollten Schneewittchen und keine andere.
Der Anruf von Walther Meng war ebenfalls nicht dazu angetan gewesen, ihre Laune zu heben. Ganz im Gegenteil. Er hatte heute Morgen durch seine Sekretärin ausrichten lassen, dass es aufgrund eines logistischen Fehlers nun doch nicht möglich war, sie wie geplant als Patientin in der Klinik am Starnberger See aufzunehmen.
Es schien, als hätten sich auf einmal alle gegen sie verschworen. Selbst Philipp, dieser Langweiler von Ehemann, hatte kein Mitgefühl gezeigt, als sie ihn angerufen hatte, um sich darüber zu beklagen, dass DiandraBeauty sie als Model abgelehnt hatte.
»Bedauerlicherweise sind Sie blond«, hatte diese arrogante Biggi geschrieben, was die Frau für sich als »Sie sind zu alt und zu hässlich« übersetzte. Immer größer wurde ihre Wut, je länger sie über die Absage nachdachte.
Euch werde ich es zeigen!,beschloss sie und tigerte in ihrem Zimmer auf und ab.
Ihr Spiegelbild folgte ihr auf Schritt und Tritt – und von irgendwoher vernahm die Frau Gelächter. Höhnisches, irres Gelächter. Man machte sich bereits lustig über sie. Über sie, die Versagerin.
Doch die Frau würde es nicht zulassen, dass man sie verlachte. Noch besaß sie Würde. Und die konnte ihr so schnell keiner nehmen. Allerdings war es wichtig, ein paar Menschen in ihre Schranken zu weisen und ihnen eine Lektion zu erteilen, die sie so schnell nicht vergessen würden. Diese Biggi würde es noch bereuen, dass sie ihr eine Abfuhr erteilt hatte. Und Sarah würde auch noch spüren, wie es war, sich allein und verlassen zu fühlen. Im Stich gelassen von denjenigen, von denen sie geglaubt hatte, dass sie ihnen vertrauen konnte.
Der letzte auf der Liste ihrer Rachepläne war Doktor Walther Meng. Wenn er glaubte, er könne sie vom Königsthron stoßen, dann hatte er falsch gedacht. Dieser Platz gehörte ihr. Dafür würde sie notfalls über Leichen gehen…
Kaum hatte sie diesen Gedanken zugelassen, umspielte ein Lächeln das Gesicht der Frau. Ja, das fühlte sich gut an. So richtig.
Man muss für das kämpfen, was einem wichtig ist, hatte sie irgendwann einmal gelesen. Und das stimmte. Wenn einem die Dinge nicht in den Schoß fielen, durfte man nicht jammern und klagen und sich als Opfer fühlen. Man musste die Dinge selbst in die Hand nehmen und den Spieß einfach umdrehen.
Je länger sie darüber nachdachte, desto klarer erschien ihr alles. Sie würde noch heute Abend auf die Reeperbahn gehen. Ins Lehmitz . Sicher arbeitete Gunther noch dort. Gunther würde alles für sie tun. Erst recht, wenn sie ihn gut bezahlte.
Wie gut, dass die Frau Vollmacht über die Konten ihres Mannes besaß…
10
Ich stand vor dem Schaufenster einer Zoohandlung und beobachtete, wie eines der Kaninchen im Auslauf an einer Möhre mümmelte. Seit ich klein war, hatte ich mir immer ein Haustier gewünscht, aber Bella hatte es nicht erlaubt. Gegen Katzen und Hunde war sie angeblich allergisch, außerdem könnten die ja haaren. Schildkröten und Frösche fand sie eklig und Meerschweinchen oder Hamster stanken ihr zu sehr. Ganz egal, welchen Vorschlag ich gemacht hatte, immer hatte Bella einen Grund gewusst, mir meinen sehnlichsten Wunsch abzuschlagen.
Entschlossen, keinen weiteren Gedanken an meine gefühllose Stiefmutter zu verschwenden, schüttelte ich den Kopf und betrat den Laden. Über mir klingelte eine Türglocke wie aus einem anderen Jahrhundert.
Ringgeedinnggeeedinggggggg…
»Entschuldigen Sie bitte«, sprach ich