Weiss
kahlköpfiger Mann. Die ganze Truppe war völlig weggetreten.
Sabrina Pianini stand vorsichtig auf, zwischen den Beinen tates weh. Sie wollte gar nicht daran denken, was sie sich alles für Krankheiten geholt haben könnte, die ganze Gruppe hatte dieselbe Injektionsspritze verwendet, und der tätowierte Mann benutzte garantiert keinen Gummi. Den Tränen nahe zog sie sich an und schaute nach, ob die Unterlagen von Doktor Rostow noch in der Jeanstasche steckten. Als sie den BH suchte, fiel ihr Blick auf den Couchtisch – ein Handy.
Sie schnappte sich das Telefon, diese Gelegenheit durfte sie sich nicht entgehen lassen. Wäre es besser, zu fliehen oder von hier anzurufen? Hier wäre sie eher in Sicherheit als auf der Straße, und diese Clique würde nicht aufwachen, wenn sie leise sprach. Sabrina Pianini ging ins Badezimmer und schloss ab. Am liebsten hätte sie Guido angerufen, um die Stimme ihres Bruders zu hören, um sich zu vergewissern, dass es ihm gutging, dass noch Zeit blieb, doch sie tippte die Nummer der Auskunft ihres italienischen Operators ein. Wenn sie nicht aus Weißrussland herauskam, waren Guidos Tage gezählt.
Eine energisch klingende Frau versprach, sie mit dem AISI, dem italienischen Inlandsnachrichtendienst, zu verbinden.
»Zeichnen Sie dieses Gespräch auf«, verlangte Sabrina Pianini, als sich ein Mann meldete, dem man anhörte, dass er wenig Zeit hatte.
»Alle Gespräche, die beim Bereitschaftsdienst auflaufen, werden aufgezeichnet. Worum geht es bei Ihrem Anliegen?«
Sabrina Pianini hörte aus dem Zimmer Stimmen, jemand war aufgewacht. Sie hockte sich in eine Ecke des Bades und schützte das Telefon, als wollte sie im Wind ein Streichholz anzünden. »Mein Name ist Sabrina Pianini, ich wurde vor einer Woche in Barga entführt, am 9. August, das war ein Montag. Ich bin in Minsk in Weißrussland, in irgendeiner Wohnung, ich weiß nicht genau …«
Es klopfte an der Tür.
»Besetzt, es dauert noch einen Augenblick«, rief Pianini auf Englisch.
»Geht es Ihnen gut? Sind Sie jetzt frei?«, fragte der Diensthabende des AISI.
»Ich versuche in den Park zu kommen, im Zentrum von Minsk. Jemand muss mir helfen. Dort ist ein Observatorium, ich gehe immer zur vollen Stunde daran vorbei, wenn ich kann. Ich kenne Minsk nicht …«
Nebenan rief jemand etwas auf Weißrussisch, dann hörte man ein Poltern und Schritte, und schließlich prallte etwas gegen die Tür.
»Können Sie noch etwas anderes sagen? Haben Sie …« Das Gebrüll nebenan und das Hämmern übertönten die Frage des Diensthabenden.
Dann krachte die Tür, der Rahmen zerbarst und der Tätowierte stürmte mit hochrotem Gesicht brüllend ins Bad und zeigte auf das Handy.
Sabrina Pianini schrie auf, als er ihr das Telefon entriss, sie an den Haaren packte, quer durchs Zimmer schleifte und aufs Bett schmiss. Auch der Kahlköpfige war aufgewacht, er klopfte mit dem Finger an eine Injektionsspritze und schaute zu, wie an der Nadelspitze zwei, drei Tropfen einer klaren Flüssigkeit austraten.
***
Am Schanzenturm von Herttoniemi krachte ein zweiter Schuss. Kati Soisalo ging unter dem Turm in Deckung hinter einer Bretterhütte, der Umkleidekabine, es folgte ein dritter Schuss, Sakke Tirkkonen schrie auf und stürzte hin. Kara warf sich neben Kati Soisalo, kurz bevor ein vierter Schuss am Fuße des Schanzenturms neben Arbuzows Leiche Staub aufwirbelte.
»Aus welcher Richtung schießt er?«, fragte Kati Soisalo mit der Waffe in der Hand, während Kara sein Handy aus der Tasche holte, den Notruf wählte und meldete, dass am Schanzenturm von Herttoniemi geschossen wurde.
»Jetzt geht es um Minuten«, sagte Kara. »Wir müssen durchhalten, bis die Polizei hier ist.«
»Komm mit«, erwiderte Kati Soisalo. Sie erhob sich, rannte im Schutze der Hütten unter dem Turm bis zum Schanzentisch und kletterte hinauf. Kara folgte ihr auf den Fersen. Holz splitterte, als ein Geschoss einschlug, und gleich danach heulte eine zweite, abgeprallte Kugel. Die hohen Anlaufränder aus Brettern und Sperrholz boten einen guten Sichtschutz, hielten aber die Kugeln nicht auf.
Kati Soisalo kroch auf allen vieren die Anlaufspur hinauf, und Kara kroch ihr hinterher. Sie hatten die Kante des Schanzentischs etwa fünfzehn Meter hinter sich gelassen, als unter ihnen etwas klirrte. Kati Soisalo erstarrte, Kara ebenso. Sie hörten die Schritte des Schützen, er befand sich unter der Schanze. Dann wurde es still. Kati Soisalo hielt den Griff ihrer Waffe noch fester, als
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