Weiss
Regel nicht einmal durch persönliche Kontaktaufnahme. In der Wissenschaftsgemeinde würden schon bald Gerüchte über uns zirkulieren und über unsere … Vorschläge. Und nichts ist wichtiger, als dass die Existenz unseres Instituts geheim bleibt. Diesen Punkt kann man gar nicht genug betonen.«
Andrej Rostow wies auf die Klappstühle, die an der Wand standen.
Sabrina Pianini schaute nicht einmal in die Richtung, in die er zeigte. »Ich erwarte eine Erklärung. Für das … alles«, sagte sie, deutete ziellos auf ihre Umgebung und wunderte sich, wie gelassen sie reagierte.
»Sie sind ein intelligenter Mensch, Fräulein Pianini, Ihnen schwirren momentan sicher Dutzende brennende Fragen durch den Kopf. Ich erkläre Ihnen zum jetzigen Zeitpunkt nur das Wichtigste. Sie sind hier, weil wir Ihr Fachwissen bei der Entwicklung bestimmter Iridiumkatalysatoren benötigen. Sie werden in diesem Institut mehrere Monate, vielleicht sogar Jahre verbringen, das lässt sich leider nicht ändern. Es ist am besten, wenn Sie über all das mit unserem Psychologen reden, er wird Sie sofort empfangen, wenn Sie es wünschen. Ihre Stimmung muss möglichst schnell besser werden, damit das Interesse für die Arbeit geweckt wird.«
»Was wird hier eigentlich gemacht, das Institut ist ja riesengroß?«, fragte Sabrina Pianini, die ans Fenster getreten war.
»Das da ist mein ganzer Stolz«, antwortete Doktor Rostow und strahlte vor Zufriedenheit, als er auf eine Anlage zeigte, die so groß wie ein Lkw war und in der Mitte der Halle stand. »Das ist ein in seiner Art beispielloser Prototyp, und er wird in wenigen Tagen einsatzbereit sein. Wir werden ihn bald brauchen im Zusammenhang mit … dem ›Langen Marsch‹ der Chinesen.« Rostow fand gar kein Ende, nachdem er einmal angefangen hatte, voller Begeisterung über sein Lieblingsthema zu reden.
»Ich lasse Ihnen etwas Hintergrundmaterial über Ihre neue Forschungsgruppe hier, machen Sie sich damit vertraut«, sagte Doktor Rostow schließlich, legte den Ausdruck aufs Bett und verließ den Raum.
»Sie bringen meinen Bruder um, wenn Sie mich gefangen halten«, dachte Sabrina Pianini, hielt aber den Mund und sagte kein Wort.
5
Mittwoch, 11. August
Leo Kara saß im Straßencafé vor dem Haupteingang des Gebäudekomplexes der UNO-City und schlürfte ein Bier. Die letzten noch unerledigten Mappen zu den Iridium-Fällen lagen vor ihm auf dem Tisch, seine Arbeitszeit war zwar vor kurzem zu Ende gegangen, er würde aber noch den ganzen Abend für diesen Auftrag brauchen. Die Mitarbeiter des UNODC saßen meist in den Lokalen des Hauses F, hier hingegen entspannten sich größtenteils Besucher und die Leute, die an den täglichen Führungen für Touristen teilnahmen. Kara war nicht sonderlich daran interessiert, Leuten aus dem Stab des Generaldirektors zu begegnen: Anders Aasen hatte mit so viel Eifer über den Zwischenfall getratscht, dass jeder zweite entgegenkommende Kollege ihn anstarrte, als wäre er der Elefantenmensch.
Das eiskalte Bier beruhigte die Nerven. Kara betrachtete den großen Springbrunnen mitten auf dem Innenhof, den ein Kranz von Flaggen umschloss. Dahinter stand das zylindrische Konferenzgebäude umgeben von sechs ypsilonförmigen Bürotürmen aus Beton und Glas. Neben dem UNODC hatten auch viele andere Einrichtungen der UN hier ihr Quartier. In ihnen arbeiteten über viertausend Menschen aus hundert Ländern. Die Wiener hatten den Gebäudekomplex UNO-City getauft, und das Gelände erinnerte tatsächlich an eine Stadt.
Zwei Stunden später war der Stapel auf Karas Tisch geschrumpft, und auf dem Nachbartisch türmten sich die durchgearbeiteten Hefter. Die Sonne in ihrer goldgelben Aura tauchte gerade am Horizont unter. Kara war müde, aus Angst vor Alpträumenhatte er nachts nicht viel und noch dazu unruhig geschlafen. In den Mappen fand sich nichts Wichtiges, die ganze Arbeit war anscheinend reine Zeitverschwendung. Er öffnete den nächsten Hefter und fluchte derart laut, dass die anderen Gäste im Café zu ihm herüberschauten. Kontoauszüge, Quittungen und andere Buchhaltungsunterlagen, keine Arbeit verabscheute er so sehr wie das Überprüfen von Geldangelegenheiten, das galt für seine eigenen wie auch für die anderer Leute.
Kara holte sich noch ein Bier und beschloss, die Ärmel hochzukrempeln und die letzten Mappen in einem Zuge durchzugehen. Er hatte erst ein paar Unterlagen umgeblättert, da stach ihm ein Name ins Auge, hinter dem er schon den ganzen Tag her war
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