Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
kleine Schwester im Garten, wo sie mit einem Maikätzchen herumzottelte. Dabei war das Katzenkind offensichtlich völlig anderer Meinung als ihre zweibeinige Freundin. Das Fellknäuel wollte und wollte nicht in der Kiste liegen bleiben, die Lisa für sie als Bettchen auserkoren und liebevoll mit Gras ausgepolstert hatte.
Anne lächelte über die Kinderspiele, schnappte sich einen flachen, wie eine Schale geformten Weidenkorb. Im Garten rückte sie der ersten Reihe Frühkartoffeln zu Leibe. Sie holte die gelben Früchte aus staubtrockener Erde.
Die Knollen waren dieses Jahr nicht so groß, wie es sich die Familie wünschte, aber auch nicht so klein, dass man Anlass zum Klagen gehabt hätte. Anne klaubte genügend Kartoffeln zusammen, um daraus das Nachtmahl für den morgigen Tag bereiten zu können. Vom benachbarten Beet holte sie noch ein Bund Wurzeln. Das Möhrenkraut überließ sie den Kaninchen.
„Lisa, geh und rupf Grünes für die Hasen“, wies Anne die kleine Schwester an. Lisa war zwar nicht begeistert, fügte sich aber ohne Murren in die Notwendigkeit. Sie schulterte eine Kiepe und ging auf die Suche nach den Blattrosetten der Butterblumen.
Der Eintopf blubberte im Kessel, als Anne zurückkam. Schnell dämmte sie das Feuer ein. Sie schob die rot glühenden Scheitreste mit einem Feuerhaken auseinander, nur Glut blieb noch übrig. Sie schälte die Kartoffeln, schnippelte Möhren klein und schüttete erst einmal alles in einen Topf mit Salzwasser.
Bevor ihre Eltern mit der Schnitterkolonne im Dorf eintrafen, wollte sie bereits vom Dorfbrunnen mit frischem Wasser zurück sein. Dazu schlüpfte sie unter ein Tragejoch, woran zwei hölzerne Eimer hingen. Bevor Anne aus dem Haus ging, kontrollierte sie mit einem prüfenden Blick das Feuer. Die Glut war schon zu grauer Asche vergangen. Nur wenn ein Lufthauch über die Feuerstelle hinwegstrich, leuchtete hie und da ein roter Funke auf.
Am Brunnen herrschte großer Andrang, so dass Anne sich noch eine Weile gedulden musste, bis sie an die Reihe kam. Beim Wasserschöpfen halfen die Frauen und Mädchen sich gegenseitig.
Wieder und wieder wurde der Schöpfeimer in die kühle Tiefe des Brunnens hinabgelassen, mit vereinten Kräften heraufgezogen und sein Inhalt in die Wassergefäße der Wartenden verteilt. Anne horchte in das Geschnatter hinein, ob eine Geschichte über Adams abendliche Aufmerksamkeiten kursierte. Aber mit Rücksicht auf ihre Anwesenheit unterblieb es offenbar.
Mit der Last gefüllter Eimer machte sie sich auf den Rückweg. Sie bemühte sich, ihren Schritten einen gleichmäßigen Rhythmus zu geben, damit das Wasser nicht überschwappe. Unterwegs begegnete ihr die kleine Schwester. Für Lisas Körpergröße war die Kiepe viel zu gewaltig. Sie hatte das Ungetüm an einem Riemen geschultert und buckelte es gebückt wie ein altes Kräuterweiblein nach Hause.
Der Brunnen lag abseits vom Kirchhof und der Dunglage des Wirtschaftshofes, deshalb brauchten die Mädchen auch eine gewisse Zeit für den Heimweg und waren nicht erstaunt, den Rest der Familie, Vater, Mutter und die beiden erwachsenen Brüder, um den Küchentisch versammelt anzutreffen.
Die Mutter strahlte, als sie ihre beiden schwer beladenen Mädchen erblickte.
„Lisa, min Söten, låt di dat afnähmen. Dat is ja man bannig väl to drägen för’n mückerigen Diern“, bemitleidete sie die Vierjährige und verschwand mit der Kiepe nach hinten in den Garten. Schnell und gerecht verteilte sie das Futter auf die Kaninchenbuchten, in denen einzelne Tiere aufgeregt umherhoppelten und hin und wieder mit ihren Hinterpfoten klopften. Schließlich stellten die Langohren ihr Imponiergehabe ein und machten sich friedlich mümmelnd über die frischen Leckerbissen her.
„Anne, wo is uns Lütte“, wollte Frau Jessen wissen, kaum dass sie zur Hintertür hereinkam.
„Båben un slöppt“, erhielt sie zur Antwort.
„Låt Helenen slåpen“, bestimmte der Vater, der die Quengeligkeit unausgeschlafener Kleinkinder gut kannte. „Sett di an Disch, Mudder, un holl’t Muul!“, knurrte er seine Frau an.
Frau Jessen setzte sich ohne Widerworte, faltete die Hände und hörte andächtig dem Gebrabbel ihres Angetrauten zu. Er sprach ein Tischgebet in der ihm eigenen Art und Weise: „Lat di danken leefe Gott, för Speck un Tüffeln in ’n Pott.“
Die Familie nahm die Mahlzeit in der Regel schweigend ein. Das Familienoberhaupt duldete kein Geschwätz am Tisch, es sei denn, es hatte selber etwas zum
Weitere Kostenlose Bücher