Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
ausgeglitten war.
„Na, das kann ja heiter werden“, brummelte der Kutscher vor sich hin, als er seinen höchst verantwortungsvollen Posten bestieg. Er gab das Signal zum Aufbruch, konnte sich nur auf das Gespür der sechzehn Pferdebeine verlassen, über die er zu befehlen hatte. Genauso vorsichtig tastend wie zuvor der Hirte bewegten sich auch die Tiere langsam vorwärts. Gelang ihnen der Balanceakt noch recht gut, so gerieten dem Wagen ständig Hindernisse vor beziehungsweise unter die Räder. Wenn sich die Karosse unter beängstigender Schieflage hinüberkämpfte, drangen jedes Mal schrille Schreckensrufe aus ihrem Inneren.
Baronin von Plessen hatte vor lauter Angst ihre Übelkeit vergessen. Sie betete ununterbrochen, wobei sich nur ihre Lippen tonlos bewegten. Ihre grüne Gesichtsfarbe war einer vornehmen Blässe gewichen.
Doch Christophorus hatte ein Einsehen, vielleicht freute er sich auch auf das Dankgebet des Kutschers und die versprochene Kerzenstiftung, denn die Reisegesellschaft passierte, ohne ernste Schäden an Gesundheit und Gerät zu nehmen, die schwierige Wegstrecke, um dann, von Süden kommend, die bewaldeten Hügel vor Doberan zu erklimmen.
Nicht nur der Untergrund der Straße besserte sich, sondern auch die Luft. Die Damen erlaubten sich, die Scheibe des Schlages zu öffnen und sogen gierig die frische würzige Waldluft ein. Wie von dem Duft berauscht waren mit einem Male alle Mühsal und Aufregungen vergessen.
Johanna war vorwitzig genug, ihren Kopf hinauszustecken. Sie ließ sich den Fahrtwind des Gespanns um die Nase wehen, das nun gut vorankam. Sie wollte das Meer sehen und entdeckte es von einer waldlosen Hügelkuppe aus.
„Margitta, sieh doch nur, das Meer, da ist das Meer“, schrie sie begeistert und zog sich in das Kabineninnere zurück. Mit lang ausgestrecktem Arm wies sie in die Richtung, in die sie geschaut hatte. Das große Wasser schimmerte in einiger Entfernung am nordwestlichen Horizont, aber es war bereits den Blicken entschwunden, bevor Margitta der Aufforderung der Freundin hatte folgen können. Aufgeregt ließ sich Johanna in die Polster der Kutsche zurückfallen.
„Ich habe es gesehen, es hat den Anschein, als fülle es den gesamten Horizont aus.“
„Das tut es wohl auch, Johanna, und jetzt beruhige dich. Wir werden bald in Doberan sein.“ Elvira lächelte ihrem Schützling zu und strich ihm eine widerspenstige Haarsträne unter die Haube.
„Können wir uns gleich das Meer ansehen? Ach bitte, Madame“, bettelte Johanna ihre Gönnerin an. Ihr Gesicht war dabei ein einziges Flehen.
Die Baronin machte einen entnervten Eindruck und seufzte vernehmlich.
„Mein liebes Kind, ich habe durchaus Verständnis für deine Aufregung, aber du solltest, auch bei der Frische deiner Jugend, etwas Rücksicht auf meine angegriffene Gesundheit nehmen! Soweit ich weiß, ist das Meer noch eine halbe Meile von Doberan entfernt, deshalb schließe ich es einfach aus, dass wir es heute noch zu sehen bekommen. Wir werden uns morgen der Badegesellschaft anschließen. Aber glaube mir, Johanna, das Wasser ist auch morgen noch an derselben Stelle.“
Enttäuscht, auch ein wenig beschämt, ließ Johanna den Kopf hängen. Nachdem Madame sich hinter ihren Fächer zurückgezogen hatte, stieß Margitta der Freundin aufmunternd in die Seite und machte eine ihrer berüchtigten Fratzen. Die Mädchen zwinkerten sich verschwörerisch zu, harrten von nun an – ohne weitere Gefühlsausbrüche – der Dinge, die da kommen sollten.
Jetzt fiel das Gelände stetig ab und der Kutscher musste, sehr zum Leidwesen des geplagten Magens der Baronin, den Wagen immer öfter abbremsen. Beschatteten eben noch Buchen eines Laubwaldes den Weg, machte der geschlossene Baumbestand plötzlich einer Allee Platz. Durch die Stämme der in Reih und Glied gepflanzten Kugelakazien konnte Johanna rechter Hand einen Teich ausmachen. Sie blinzelte noch in die glitzernde Wasserfläche, als links die ersten Häuser Doberans in Sicht kamen. Der Teich entließ einen munter plätschernden Bach, dessen Verlauf noch über eine Brücke überquert werden musste. Dann war Doberan endgültig erreicht und die staubige und mit Schlammspritzern übersäte Equipage rollte an zwei prächtigen Bauten vorüber, an denen elegant gekleidete Badegäste vorbeiflanierten.
Aber mehr bekam Johanna erst einmal nicht von dem Ort zu sehen. Der Wagen kam vor einem Fachwerkensemble zum Stehen.
„Mädels, macht euch bereit, dies wird für die kommenden
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