Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
Professor Wolstein orakelt hat.
Noch ein schlechtes Erntejahr und das Gut ist ruiniert!“
„Ich habe experimentiert!“ Steins Augen leuchteten. „Ich habe ein Verfahren zur Verbesserung der Grünfuttersilierung entwickelt. Bisher ist die Gärung oft umgekippt und das Futter ist verdorben, verfault oder verschimmelt. Nur wenn der Reifeprozess unter Luftabschluss und unter Abwesenheit von Luft zwischen den Pflanzenteilen abläuft, stellt sich der gewünschte Effekt der Milchsäuregärung ein.“
„Wenn auf den Wiesen und Weiden kein Aufwuchs mehr steht, was möchten Sie dann noch ernten und silieren“, fragte der Graf tonlos. Ihm kamen langsam Zweifel an der Kompetenz seines Verwalters. Sollte sich Stein in eine fixe Idee verrannt haben? Konnte er sich mit den Gegebenheiten einfach nicht abfinden? Der Graf schaute Stein grübelnd an.
„Das Zauberwort heißt Rübenblatt!“, eröffnete der blitzenden Auges.
„Bitte?“
„RÜBENBLATT, Herr Graf, das grüne Zeug, das auf den Runkeln wächst.“
„Wollen Sie sich über mich lustig machen? Ich weiß sehr wohl, wie eine Rübe aussieht“, versicherte der Graf pikiert. „Das Blatt wird doch schrecklich schnell welk, dann gammlig. Sie meinen, man könnte es konservieren?“
„Ich meine; und ich biete Euer Gnaden jetzt einen Handel an.“
Stein zügelte sein Pferd, auch der Graf brachte sein Tier zum Stehen. Die Männer schauten sich unverhohlen in die Augen.
„Wenn ich zu Martini soweit bin, genug Futter aus Rübenblatt auf dem Hof zu haben, um das Hornvieh mit einem Drittel des sonst benötigten Heus anständig satt machen zu können, bleiben die Stutfohlen auf dem Gut.“ Stein schaute den Grafen herausfordernd an, mehr als nein sagen, konnte der nicht.
„Abgemacht!“ Der Graf reichte Stein die Hand zur Besiegelung des eigenartigen Paktes. „Und wenn die Sache klappt, mein lieber gerissener Herr Stein, verzichte ich dieses Jahr auf die Martinigänse, die mir zustehen. Sagen Sie das den Leuten, die Angelegenheit soll es mir wert sein.“
„Ja, Herr Graf!“ Stein strahlte, seine Aufregung übertrug sich auf sein Pferd, dem er unvermittelt die Hacken in die Weichen schlug. Es bäumte sich auf der Hinterhand auf und stürmte dann im wilden Galopp davon. Der Graf musste sein tänzelndes Pferd zügeln, weil es angeborenen Instinkten folgen wollte.
„Verdammter Idiot! Führt sich auf wie ein vollblütiger Jüngling, hat dabei mindestens 50 Jahre auf dem Buckel“, schimpfte er vor sich hin, während er seinem Reittier klarzumachen versuchte, wer das Tempo zu bestimmen habe.
Widerstrebend ordnete sich das Tier dem Willen seines Reiters unter. Schließlich kehrte es im vornehmen Trab zum Gut zurück.
Der Graf saß bereits eine Weile bei geöffneter Tür in der Bibliothek.
Stein klopfte nur der Form halber an die Leibung. Er wartete jedoch nicht auf die Genehmigung, stören zu dürfen, sondern betrat den Raum unaufgefordert.
„Bitte nehmen Sie Platz, Herr Stein.“ Der Graf wies auf den Sessel ihm gegenüber und griff nach einer Glocke, die in seiner Reichweite abgestellt worden war. Der helle Ton des Messingglöckchens ließ den gräflichen Leibdiener wie einen Geist aus der Flasche erscheinen, so dass Stein erschrocken zusammenfuhr, als er neben sich eine tiefe Stimme vernahm.
„Euer Gnaden wünschen?“
„Bringen Sie für Herrn Stein noch einmal dasselbe.“ Der Graf deutete auf eine gelbbraune Flüssigkeit in einem kunstvoll geschliffenen Schwenker.
„Sehr wohl, Euer Gnaden.“
Der Diener verschwand so leise, wie er gekommen war und Stein machte sich tatsächlich Gedanken, mit welchem Spürsinn der Mann jeder knarrenden Diele auszuweichen vermochte.
Aus der Küche wehten Geräusche herüber. Zuerst schepperte es mächtig, als ob eine der vielen gusseisernen Pfannen vom Herd gesprungen wäre, dann konnten die lauschenden Männer martialisches Gezeter ausmachen, das eindeutig aus Elsis Kehle stammte.
„Sie ist nervös“, versuchte Stein das Betragen der Köchin zu entschuldigen.
„Elisabeth und nervös? Das glaub ich Ihnen nicht. Solange ich die gute Seele meines Vaterhauses kenne, ist sie die Ausgeglichenheit in Person gewesen.“ Der Graf horchte angestrengt und bemerkte dann Steins unverschämtes Grinsen. Die gute Laune des Verwalters schob er dem Geschäft zu, das am Feldrain vereinbart worden war, auch dem französischen Cognac, den Stein eben probiert hatte. Das Grinsen verschwand jedoch nicht, sondern wurde immer breiter,
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