Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
als ein Chor aufgeregter Frauenstimmen jeden unfreiwilligen Zuhörer in den Genuss einer lautstark geführten Auseinandersetzung brachte.
„Was zum Teufel ist da los“, fragte der Graf fasziniert. Er konnte seine Neugierde nicht bezähmen und horchte weiter, ohne im allgemeinen Durcheinander der Stimmen den eigentlichen Grund für die Aufregung zu erfahren.
Stein hörte plötzlich auf zu grinsen und setzte stattdessen eine würdevolle Miene auf. Er entnahm seiner Rocktasche ein sorgfältig gefaltetes Papier, das er dem Grafen mit den Worten: „Ich habe hier einen Antrag“, über den Tisch schob.
Steins Förmlichkeit stimmte den Grafen misstrauisch. Er griff vorsichtig nach dem Papier, als ob er befürchten müsse, sich die Fingerspitzen zu verbrennen. Nur kurz beschäftigten sich seine Gedanken mit der eher ungelenk, zu groß und zu eckig geratenen Handschrift, denn sie kam ihm bekannt vor. Er überflog den „Antrag“.
Stein ließ den Grafen nicht aus den Augen. Er registrierte jedes nervöse Zucken im Gesicht seines Dienstherrn.
Der Graf legte den Antrag nach gründlichem Studium zurück auf den Tisch und schaute seinen Verwalter mit unergründlicher Miene an. „Wer hätte das gedacht“, brachte er zwischen verkniffenen Lippen hervor. Er erhob sich, zupfte an seinem Hausmantel und begann auf und ab zu schreiten. Die Dielen knarrten und ächzten unter jedem seiner Schritte.
Stein lief es noch nachträglich kalt den Rücken herunter, als er an die Lautlosigkeit des Leibdieners zurückdachte.
„Hat dieser Adolf Bannow tatsächlich einen Antrag auf Heiratserlaubnis gestellt und will unsere Elsi heiraten!
Stein! Was sagen Sie dazu?“
„Elsi hat es verdient“, entgegnete Stein voller Inbrunst, ohne zu bedenken, wen er vor sich hatte. Er lenkte jedoch ein, als er hinzufügte: „Das ist jedenfalls meine Meinung, Herr Graf.“
„Du lieber Himmel, die Frau muss weit über vierzig sein, wozu will sie da noch heiraten.“ Verständnislos schüttelte der Graf den Kopf. Er nahm seine Wanderung durch das Zimmer wieder auf. Dass er annähernd im selben Alter gestanden, als er seinerzeit eine knapp Siebzehnjährige geheiratet hatte, war für ihn kein Maßstab, den es auch in Elisabeths Fall anzulegen galt. „Hab mir bald so etwas gedacht“, grummelte er vor sich hin, „als die beiden gestern Nacht die Köpfe zusammengesteckt haben: Ein Herz und eine Seele, zwei altgediente gestandene Leute, ich fasse es nicht!“
Obwohl Stein die Menschenkenntnis des Grafen bewunderte, denn ihm, der täglich Umgang mit den beiden hatte, war das Verhältnis verborgen geblieben, wurde er unruhig. Der Graf redete sich langsam in Rage und das war den Heiratsplänen von Adolf und Elsi bestimmt nicht zuträglich. Deshalb begann Stein sich ins Mittel zu legen: „Elisabeth wurde bereits der erste Bräutigam für Wilhelm von Oranien wegrekrutiert! Meinen Herr Graf nicht, es wäre an der Zeit, der Frau ein bisschen Glück zu gönnen?“
Der Graf blieb stehen und baute sich drohend vor Stein auf. Angesichts des Gesichtsausdrucks seines Dienstherrn schrumpfte der Verwalter in seinem Sessel zusammen.
„Wilhelm von Oranien? Was faseln Sie da! Habe ich mir etwa die Taler für die mecklenburgischen Rekruten in die Tasche gesteckt? Das war wohl eher Seine Königliche Hoheit.
Außerdem ist das alles lange her.“
„Achtundzwanzig Jahre, Herr Graf.“
Die Männer erstarrten in ihrem Disput. Der Blick des Grafen wanderte über seinen Verwalter hinweg zur Tür, wo Elisabeth stand. Ihr verschwitztes Gesicht war rosig und glatt, so dass es schwerfiel, ihr tatsächliches Alter zu schätzen. Die Masse ihrer fülligen Figur füllte den Türrahmen annähernd aus.
„Ähem, wie meinen?“
„Es ist jetzt achtundzwanzig Jahre her, da man mir meinen Johann weggeholt hat. Zehn Jahre hab ich auf ihn gewartet, die folgenden Jahre hab ich versucht, mein Unglück zu vergessen, aber Adolf hat mich erst davon überzeugt, dass ich eine Frau und nicht nur eine Köchin bin. Ich kann wieder lieben, Herr Graf!“
Elisabeths Worte trafen den Grafen mitten ins Herz. Steifbeinig erreichte er die nächste Sitzgelegenheit und ließ sich in die Polster fallen. Aller Zorn war verraucht. Ihm wurde bewusst, weder Glück noch Unglück haben Respekt vor dem Stand einer Person. Ob leibeigene Köchin oder begüterter Graf, egal, es traf alle gleichermaßen und unvermittelt.
Stein sprang auf und führte Elisabeth hinaus. Willig ließ sie sich lenken. Sorgfältig
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