Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
nichts!“, ereiferte sich Scholtz, dessen Gesichtsfarbe im Zuge des Streitgespräches ein ungesundes Dunkelrot angenommen hatte.
Franz verfolgte die Auseinandersetzung beider Streithähne fasziniert. Zumindest war, angesichts der vielen Mediziner am Tisch, schnelle ärztliche Hilfe parat, wenn sie denn nötig sein sollte.
Josephi lächelte aufreizend, was seinen Gegner regelrecht anstachelte.
„Sie denken, Sie sind fein raus! Als Professor einer unbedeutenden Universität könnten Sie es sich leisten, über den Dingen zu stehen. Haben nur Verantwortung für die fünf Studiosi, die Ihnen beim Leichenzerschnippeln auf die Finger starren ...“
Weiter kam Ratsherr Scholtz mit seiner Schmährede nicht. An dieser Stelle beschloss Frau Scholtz, wirkungsvoll in Ohnmacht zu fallen. Ihre Lider flatterten und entblößten nur das Weiße im Auge, dann fiel sie auch schon ihrem überraschten Tischherrn, dem Inhaber der Löwenapotheke am Markt, in den Schoß.
„Du lieber Himmel, Agathe!“, rief Witte erschrocken, was wiederum Frau Witte pikiert zur Kenntnis nahm.
Es bedurfte keiner Verkündung der Gastgeberin, die Tafel als aufgehoben zu betrachten. In kürzester Zeit scharte sich alles um Herrn Witte und das schlaffe Bündel in seinem Schoß.
Franz trat zurück und nahm Charlotte tröstend in die Arme. Ihr Ehemann, von dem sie sich Halt und Anlehnung erhofft hatte, stand nicht zur Verfügung, weil Ernst sich gemeinsam mit den anderen Ärzten um Frau Scholtz kümmerte, die zunächst bequemer auf ein Sofa im Salon gebettet wurde. Die Gesichtsfarbe der Ohnmächtigen war unter dem Rouge tatsächlich beängstigend blass.
Charlotte drückte ihr Gesicht an Franz’ Schulter. Gewiss wollte sie nur die Tränen verbergen, die ihr über die Wangen kullerten.
Franz spürte ihre Nähe und ihren Körper überdeutlich. Ihn irritierte der Duft ihres sorgsam gelockten Haares. Er kannte ihn, aber es gelang ihm nicht, ihn einer Frau mit Namen und Gesicht zuzuordnen. In den vergangenen Jahren hatte er so viele in den Armen gehalten. Ganz plötzlich überkam ihn Sehnsucht nach Vertrautheit und Zärtlichkeit. Aber er schrieb sein Verlangen der Situation zu, es hatte nichts mit der Frau seines Freundes zu tun. Trotzdem musste er sich ermahnen, Charlotte nicht an sich zu pressen.
Köster steuerte auf seine Tochter zu.
Franz überließ sie, nicht ohne den Stich des Bedauerns zu fühlen, dem Arm ihres Vaters. Köster redete beruhigend auf sie ein und tätschelte ihr unbeholfen den Rücken. Seiner Aufgabe als Seelentröster beraubt wendete Franz sich dem Geschehen im Salon zu.
Einige Damen standen unentschlossen herum und wedelten die verbrauchte Luft nervös mit ihren Fächern durcheinander. Ihre Ehemänner fanden sich nach und nach ein.
Franz erhaschte hastig geflüsterte Gesprächsfetzen, man solle sich so schnell als möglich verabschieden.
An Frau Scholtz’ provisorischer Lagerstatt hockten der besorgte Gatte und Professor Josephi. Die beiden Streithähne einte das gemeinsame Bemühen, die so plötzlich – und im richtigen Augenblick – Ermattete wieder auf die Beine zu bringen. Die freiwillige Schlichterin schlug die Augen auf und beäugte gekonnt ungläubig ihre beiden Betreuer. Ernst stand daneben und brütete vor sich hin. Vermutlich rekonstruierte er, wie der vielversprechende Abend in einer Katastrophe hatte münden können.
Franz berührte ihn sacht am Arm. „Ernst? Ich glaube, einige Gäste möchten sich verabschieden“, sagte er leise.
Ernst verließ den Schauplatz der Dreieinigkeit. Auf dem Weg zu seinen aufbruchwilligen Gästen zupfte er an seiner Halsbinde und zog an seiner Weste, so als ob er in der letzten Viertelstunde aus seiner Kleidung herausgewachsen wäre.
Charlotte hatte sich bereits zurückgezogen. So blieb Ernst nichts anderes übrig, als die Gäste allein und unter den üblichen Floskeln hinauszukomplimentieren. Er war überzeugt, die Beteuerungen, einen schönen Abend verlebt zu haben, seien nur höflich, aber nicht ehrlich gemeint, und die Auseinandersetzung an seiner Tafel liefere Gesprächsstoff für diverse andere Zusammenkünfte.
Auch das Ehepaar Scholtz verließ das Haus in der Kistenmacher-Straße, kurz darauf empfahl sich Professor Josephi.
Franz und Charlottes Vater waren die einzigen Gäste, die Ernst noch Gesellschaft leisteten.
„Es ist schon erstaunlich, wie so ein Gespräch von einem Thema zum anderen springt und zu den drolligsten Verwicklungen führt“, sagte Köster nach einer
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