Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
unter die Augen und sie bedauerte das Hausmädchen ein wenig, das dieses Chaos beseitigen musste.
Johanna kam keine Minute zu früh in das Speisezimmer. Ihr Vater hatte bereits an der großen Tafel Platz genommen und lächelte ihr zu.
„Na, mein Schatz, wie steht es um deine Garderobe?“
Johanna machte große Augen, lächelte dann und bemühte sich, ihrer Stimme einen gleichgültigen Klang zu geben. „Och, eigentlich ganz gut.“
„Und was heißt eigentlich?“
„Na ja. So ein paar Kleinigkeiten könnte ich schon noch gebrauchen.“
„Wo fängt bei dir eine Kleinigkeit an?“
Johanna lachte, stand auf, lief zum Vater und schlang ihm beide Arme um den Hals. „Du bist der beste Vater auf der Welt“, stellte sie aufrichtig fest und drückte ihn.
„Doch hoffentlich nicht, weil wir am Nachmittag noch ein, zwei Kleinigkeiten für dich einkaufen?“
„Was? Nein! Natürlich nicht.“ Johanna leckte sich die Lippen, das tat sie immer, wenn sie aufgeregt war. „Bist du auch nicht traurig, wenn du ohne mich nach Hohen-Lützow fährst?“
Den Grafen rührte ihre Sorge und er tätschelte liebevoll ihren Arm. „Nein, mein Kind, mach dir um mich keine Gedanken. Ich bin ein alter Mann und so ein Ereignis wie eine rauschende Ballnacht möchte ich dir auf gar keinen Fall vorenthalten.“
Johannas Wangen färbten sich vor Erregung. Sie setzte sich zwanglos auf einen Stuhl in unmittelbarer Nähe ihres Vaters.
„Du meinst, wir dürfen mit zum Ball gehen?“
„Davon gehe ich aus, wozu hast du sonst jahrelang Tanzunterricht erhalten und warum sollte ich dir das schönste Kleid weit und breit kaufen?“ Der Graf dachte an das lange in Auftrag gegebene Geburtstagsgeschenk, das er Johanna nun vorzeitig überlassen wollte. „Ich habe einen Termin beim Schneider machen lassen“, ergänzte er.
Sie sah ihn ungläubig an, die Kinnlade sank ihr herab. Der Graf amüsierte sich über ihr fassungsloses Gesicht und es war ihm schönster Lohn für seine Bemühungen, seine Tochter zu verwöhnen.
„Hör zu, Johanna!“ Er nahm ihre Hand und streichelte mit seinem Daumen ihren Handrücken. „Mein Aufbruch kommt schneller als uns beiden lieb sein kann. Ich muss in Hohen-Lützow unbedingt nach dem Rechten sehen.“ Sorge stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Johanna erschrak. „Ist wieder eine Scheune abgebrannt?“, fragte sie hastig.
„Nein, nein ...“ Der Graf schalt sich sofort, seine Gefühle so offen gezeigt zu haben. „Mit dem Verwalter sind einige Dinge zu besprechen. Herr Stein hat ein paar Ideen, die das Gut betreffen“, wiegelte er ab.
Indessen hatte Johanna eine Eingebung. „Kann das nicht Johann machen? Inzwischen versteht mein Bruder sowieso mehr von der Landwirtschaft als du.“ Als sie sein verblüfftes Gesicht sah, fügte sie selbstgerecht hinzu: „Das hast du höchstpersönlich einmal gesagt, und du fährst mit mir zusammen nach Doberan.“ Begeistert über den eigenen Vorschlag strahlte sie ihn an.
„Es freut mich, dass es dir anscheinend nicht zuwider ist, mit deinem verknöcherten Vater auf der Promenade zu spazieren. Aber Kind, ich habe einfach keine Zeit für eine Kur.“ Er machte ein bekümmertes Gesicht. Er hatte Johann absichtlich nicht erwähnt und Johanna gab sich glücklicherweise mit seiner Erklärung zufrieden.
Letztendlich war sie sogar erleichtert, weil sie nach der kategorischen Feststellung kein schlechtes Gewissen haben musste.
„Für heute Nachmittag habe ich mich bei Baronin von Plessen zu einem Besuch angemeldet, um eure Reiseangelegenheiten zu besprechen. Möchtest du mich begleiten?“
„Selbstverständlich, Papa!“
Der Graf lächelte wieder. „Gut, dann setz dich bitte an dein Gedeck, sonst verhungerst du noch, bevor es losgeht.“
Johanna hatte das Mittagessen fast vergessen, Aufregung und Vorfreude saßen ihr im Magen und hatten ihn für Hunger unempfindlich gemacht.
Teestunde
Pünktlich um 3.00 Uhr nachmittags fuhr der Graf gemeinsam mit Johanna bei Baronin von Plessen vor. Da er selbst Witwer war, stellte er sich lebhaft vor, dass sein eher ungewöhnlicher Besuch bei der vermögenden Dame bestimmt wilden Spekulationen Vorschub leistete. Gewissen Kreisen genügte ein solcher Anlass. Nun denn, er war Manns genug, sich solcher Gerüchte zu erwehren.
Johanna sah in ihrem sandfarbenen Stadtkleid und der dazu farblich abgestimmten Haube, die vorzüglich zu ihrem dunklen Haar und ihren hellen Augen passte, entzückend aus. Stolz nahm der Vater seine
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