Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
Tochter beim Ellenbogen und führte sie die Treppe hinauf.
Die Gastgeberin empfing ihren Besuch in einem üppig ausgestatteten Salon, der in schweren Vorhängen, kostbaren Teppichen, venezianischen Spiegeln und allerhand Nippes nur so schwelgte.
„Mein lieber Graf, wie ich mich freue, Sie begrüßen zu können!“ Die Witwe Plessen war eine etwas füllige, aber durchaus anziehende Person, die ihre Reize unaufdringlich hervorzuheben wusste. Durch ihre kunstvolle Lockenfrisur zogen sich noch keine silbernen Fäden. Sie reichte dem Grafen die Hand, dabei hatte sie ein charmantes Lächeln auf den Lippen.
„Ihr ergebener Diener, gnädige Frau.“ Er beugte sich über ihren dargebotenen Handrücken und hauchte einen Kuss darauf. „Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet, uns so kurzfristig zu empfangen. Ich hoffe, wir bereiten keine Ungelegenheiten?“
Die Witwe war höflich und nahm seine umständlichen Entschuldigungen nicht ernst. Zunächst hatte sie sowieso nur Augen für das junge Mädchen im Hintergrund. „Johanna, liebes Kind, du siehst bezaubernd aus. Lass dich umarmen.“ Baronin von Plessen waren die familiären Umstände ihrer Gäste selbstverständlich bekannt, und deshalb versuchte sie die Freundin ihrer Tochter immer mit besonderer Herzlichkeit zu bemuttern.
„Margitta wird gleich bei uns sein. Die Trödelliese ist wieder nicht fertig geworden, aber du kennst sie ja“, sagte sie unter einer abwinkenden Geste.
Margitta kam im selben Moment zur Tür hereingestürzt. Augenblicklich fiel sie der Freundin um den Hals. Das fast zwangsläufig einsetzende Geschnatter erstaunte den Grafen dann doch. So viel weibliches Mitteilungsbedürfnis ließ eine längere Trennung voneinander vermuten. Es war kaum zu glauben, dass die Mädchen sich fast täglich trafen.
Die Witwe seufzte resigniert und bedauerte wortreich, dass jahrelange Unterweisung in die Etikette wenig Berücksichtigung bei ihrer Tochter gefunden hätte. Die Gastgeberin hakte sich leutselig beim Grafen unter und dirigierte ihn zu einer Sitzgruppe. Ein kleiner Tisch bog sich geradezu unter bereitgestellten Erfrischungen. Baronin von Plessen läutete nach der Bedienung und orderte frischen Tee und süße Schokolade.
Der Graf entspannte sich etwas. Der Tee schmeckte ausgezeichnet und bot Anschluss für eine zwanglose Unterhaltung.
„Mein Kompliment, Verehrteste, der Tee ist wirklich vorzüglich. Ich kann mich nicht erinnern, wann mir das letzte Mal ein solches Getränk so sehr gemundet hätte.“
„Nicht wahr, das Aroma und die goldige Farbe“, stimmte sie dem Lob ihres Gastes zu. Die Witwe schloss genießerisch die Augen und sog den Duft ein, den die heiße Flüssigkeit verströmte. Sie stellte ihre Teetasse aus durchscheinendem Porzellan jedoch wieder auf der Untertasse ab, ohne getrunken zu haben.
„Ich beziehe die Sorte direkt aus Hamburg, aus dem Hause Goldblum.“
Der Graf verschluckte sich und konnte es gerade noch verhindern, den heißen Tee auszuspeien. Durch die Anstrengung unterdrückten Hustens verfärbte sich sein Gesicht in ein ungesundes Dunkelrot.
Baronin von Plessen sprang erschrocken auf. „Mein Gott, Graf, ich bin untröstlich!“ Beherzt schlug sie dem um Atem ringenden Mann auf den Rücken und hielt erst inne, als der sich erleichtert zurücklehnte.
Die Mädchen hatten die Szene auch verfolgt. Johanna betrachtete ihren Vater besorgt.
„Es ist schon gut, mir geht es gut“, wehrte der Graf weitere Bemühungen seiner Gastgeberin ab. Er räusperte sich und entschuldigte sich für sein Benehmen. Die Situation war ihm äußerst peinlich. Es ärgerte ihn, wenn er sich nicht im Griff hatte. Wie hatte ihn die beiläufige Erwähnung eines bekannten Hamburger Handelshauses nur so aus dem Gleichgewicht bringen können?
„Aber was reden Sie da! Ich muss mir die größten Vorwürfe machen, wenn ich Sie mit zu heißem Tee verbrühe“, begehrte die Baronin auf. Aber sie hatte den ersten Schreck bereits überwunden und wandte sich nun an die Mädchen. „Wenn ihr wollt, könnt ihr den kleinen Süßkirschenbaum im Garten plündern.“
Margitta und Johanna ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen, der langweiligen Gesellschaft ihrer Eltern zu entfliehen. Sie verschwanden unter Gekicher durch fast raumhohe Flügeltüren in Richtung Terrasse.
Der Graf war dankbar, sich wieder darauf konzentrieren zu können, weswegen der anstrengende Besuch notwendig geworden war. Er wollte endlich auf sein Anliegen zu sprechen
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