Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
erwies sich als äußerst schmal. Dass dort ein versiegeltes Couvert hindurchgeschoben worden sei, hielt Franz für ziemlich unwahrscheinlich. Es müsse doch eine unverfänglichere Art und Weise geben, Briefe zu versenden, überlegte er. Und wo kommen Briefe in der Regel an? Auf der Post natürlich!
Franz schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
Ich bin doch ein rechter Trottel, dachte er ärgerlich. Vielleicht lagerten noch weitere schmachtende Botschaften auf der Post und staubten dort langsam ein.
Schnell sah er noch einmal nach dem Datum des Briefes. Demnach war er am 24. Mai geschrieben worden. Am 26. desselben Monats könnte Johann seine Post abgeholt haben. Aber lieferte der Brief einen Anlass dafür, das Depot zu plündern und Hals über Kopf die Stadt zu verlassen? Wohl kaum!
Franz las den Brief wieder und wieder und versuchte zwischen den Zeilen zu lesen, blieb aber bei seiner Feststellung, nichts Dramatischeres als eine verbotene Liebe entdeckt zu haben.
Er schaute auf die Uhr. Wollte er sich nicht verspäten, musste er sich jetzt auf den Weg machen.
Auf der Treppe schoss es ihm ein: Wie hatte es Dr. Ernst Ahrens umschrieben, fragte er sich. Sofort rief er Einzelheiten des gestrigen Gespräches aus seinem Gedächtnis ab. „Aber ein Bezug zu Ihrem Bruder fällt mir außerordentlich schwer“, hatte Ernst gesagt.
Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen: Der geheimnisvolle Empfänger des Rezeptes war kein Patient, sondern eine Patientin! Wenn Ernst heute mit ihrem Namen herausrückte, war die Dame über kurz oder lang aufzuspüren.
Beflügelt von der Idee rannte Franz zur Praxis. Endlich eine verwertbare Spur, frohlockte er. Voller Zuversicht riss er die Tür zu Ernsts Räumlichkeiten auf. Der Anblick der vielen Wartenden ernüchterte ihn. Enttäuscht, sich gedulden zu müssen, ließ er sich auf einen freien Stuhl fallen und bemerkte erst jetzt, wie der Lauf ihn erhitzt hatte. Er nahm den Hut ab und wischte sich verstohlen mit einem sauberen Tüchlein über die Stirn. In solchen Momenten war er regelmäßig seiner Mutter dankbar, die ihm ständig solche Kleinigkeiten wie saubere Taschentücher ans Herz gelegt hatte. Da die Umstände ihn zwangen, untätig herumzusitzen, schaute er sich um. Zeitungen und jede Menge Anzeigenblätter, die zur Zerstreuung der Patienten auf einem kleinen Tischchen bereitlagen, erregten seine Aufmerksamkeit. Erfreut, sogar ein recht aktuelles Exemplar zu finden, griff er zu und vertiefte sich augenblicklich in die Ergüsse der Lokalpresse.
Die ersten Seiten widmeten sich der Weltpolitik, für die Franz im Moment wenig Interesse zeigte, obwohl die Politik der Fürsten und Regierungen Europas grundsätzliche Bedeutung für seine zukünftige Unversehrtheit hatte. Doch jetzt war sein Leben nebensächlich, folgerichtig überblätterte er die Artikel.
Die Ereignisse innerhalb der Mauern Rostocks und der näheren Umgebung fesselten ihn schon eher. Die Bekanntmachung des Magistrats zur neuen Marktordnung überflog er. Er blätterte weiter. Auf der nächsten Seite sprang ihm eine fett gedruckte Schlagzeile ins Auge: „ Mysteriöser Leichenfund! “
O Gott, dachte er. Die Zeitung sank auf seinen Schoß, das Herz klopfte ihm im Hals. Er war versucht, das Blatt einfach wegzulegen und wünschte sich inständig, die fett gedruckten Worte auf der Stelle vergessen zu können. Erschrocken bemerkte er, dass seine Hände zitterten. Er schaute verstohlen hinüber zu den wartenden Patienten, die er um ihren Gleichmut beneidete. Jedoch er hielt es nicht länger aus, er musste sich Gewissheit verschaffen. Schließlich wohnten allein in Rostock 15.000 Menschen, die umliegenden Dörfer und die vielen fremden Fahrensleute nicht eingerechnet. Warum, so sagte er sich, sollte ausgerechnet Johann der Tote sein? Mit klopfendem Herzen vertiefte er sich in den Artikel.
„... Verkündet die Polizeipräfektur, dass der unter mysteriösen Umständen entdeckte männliche Leichnam, vorläufig geschätztes Alter zwischen 20 und 30 Jahren, enthauptet in einer Gruft des Kirchhofes von St. Johannis aufgefunden wurde.“
Franz spürte die Hitze der Angst aufwallen. Sein Herz raste, als wollte es zerspringen. Er schloss die Augen. Das Gesicht hinter der Zeitung versteckt, bemerkte nur sein Unterbewusstsein das Hin und Her der Patienten im Warteraum. Nach einer Weile hatte er sich wieder unter Kontrolle. Er las weiter.
„Trotz emsigster Suche nach dem Kopfe, der offensichtlich gewaltsam zu Tode
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