Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
erwartungsvoll an. Der musterte ihn ausgiebig von oben bis unten, jonglierte einen großen Priem auf der Zunge, spuckte einen hässlich braunen Schleimbatzen auf den Strand und ließ das unappetitliche Stück Kautabak in der linken Wange verschwinden.
„Weit ik nich“, brummte er zum Abschluss des wenig erbaulichen Gesprächs und ließ Franz einfach stehen.
Entnervt wandte sich Franz ab. Das Publikum, das vorbeihastete, war ähnlichen Kalibers wie der Bursche, der ihn gerade abgefertigt hatte. Franz zog die Schultern hoch und stapfte zerknirscht in Richtung Stadt davon, um seinen neuen Freund aufzusuchen. Er benutzte den Turm von St. Jakobi als Wegweiser, denn das Gotteshaus, das hatte er sich gemerkt, stand in der Pädagogien-Straße, in der Doktor Ernst Ahrens praktizierte.
Er zog seine silberne Taschenuhr erst hervor, nachdem er das Hafenviertel verlassen hatte und stellte zufrieden fest, bis zur vereinbarten Stunde noch Zeit zu haben. Er entschloss sich, des Bruders Wohnung aufzusuchen. Vielleicht, so hoffte er, finde sich unter Johanns Papieren noch etwas Wichtiges. Das könnte er gleich mit Ernst besprechen. Die Theorie, die er im Hafen entwickelt hatte, erklärte hinlänglich die Abholung der 200 Taler, die Johann laut Borgwarts Beleg an einem Freitag an sich genommen hatte. Es war durchaus möglich, dass an diesem oder am nächsten Tag ein Schiff mit passendem Zielhafen ausgelaufen war.
Johanns Aufbruch war gewiss überstürzt gewesen, das bewiesen die zurückgelassenen Lebensmittel und Kleidungsstücke. Ungeklärt blieb jedoch immer noch die drängende Frage nach dem Warum.
Franz war so in Gedanken – er wäre fast an Nummer 15 vorbeigelaufen. Mudder Schultzen geriet jedoch in sein Blickfeld. Sie war damit beschäftigt, den Rinnstein vor ihrem Haus zu säubern. Dabei fegte sie den Unrat lediglich bis zum Nachbarn. Aber da es alle so hielten, musste das unangenehme Konglomerat früher oder später am Ende der Straße ankommen. Den Zeitpunkt der Ankunft bestimmte lediglich die Empfindlichkeit der nachbarschaftlichen Nasen. Der Stadt fehlte ein erlösender Gewitterguss, der den Staub und den Dreck aus den Gossen einfach mit sich fortreißen würde.
Franz lüftete kurz den Hut und nickte zu seiner Wirtin hinüber. Er war für einen Straßenplausch nicht in Stimmung, wollte keine Zeit vergeuden und hoffte tatsächlich, ungeschoren an der alten Dame vorbeizukommen. Doch er hatte die Rechnung ohne den Wirt beziehungsweise die Wirtin gemacht.
„Ach, Franz! Schönen Tag auch.“
Franz nickte ein weiteres Mal, aber er blieb nicht stehen, denn dann hätte er ihr Gelegenheit zum Tratschen gegeben. Sie ließ sich jedoch nicht so leicht entmutigen und rief ihm beiläufig hinterher: „Heute war Besuch für Johann da.“
Franz blieb wie angewurzelt stehen, dann fuhr er herum. Erschrocken über die jähe Wendung und seinen starren Blick wich Mudder Schultzen zurück.
„Wer?“, brachte er kurz angebunden heraus.
Mudder Schultzen trat noch einen Schritt zurück. „Was weiß ich, hat sich bei mir nicht vorgestellt“, erwiderte sie patzig, die zwei Schritte Abstand hatten ihrer Selbstsicherheit aufgeholfen.
Franz’ Gesichtsausdruck veränderte sich und Mudder Schultzen griff fester nach dem Besenstiel. Er konnte sich sehr gut vorstellen, wie sie mit dem Gast umgesprungen war, dazu brauchte er nur an den eigenen Empfang zu denken. Jedoch die Situation erschien ihm grotesk. Ihre Finger krampften sich um den Besenstiel, als ob sie ihn gleich als Verteidigungswaffe gegen ihren finster dreinblickenden Untermieter schwingen müsse. Franz lächelte bei der Vorstellung. Es schien sinnvoller, sich aufs Bitten zu verlegen.
„Könnten Sie ihn mir beschreiben? Hat er etwas ausgerichtet oder eine Nachricht hinterlassen; bitte erinnern Sie sich, es ist sehr wichtig für mich.“
„Wieso er?“
„Wie meinen?“ Franz war irritiert.
„Wieso glauben Sie, es sei ein ‚Er‘ gewesen?“
„Es war eine Frau?“ Erfreut und erstaunt zugleich machte Franz einen Schritt auf die Wirtin zu und schaute sie aufmunternd an. Als sie immer noch nichts sagte, hakte er nach. „Was hat sie gesagt? Will sie gelegentlich wiederkommen?“
Mudder Schultzen zog nur die Schultern hoch und ihre Mundwinkel herunter.
Verdammt, fluchte Franz in sich hinein, was musste ich auch in der Stadt herumtrödeln. Wäre ich hier gewesen, dann wäre mir Johanns Schicksal über den Weg gelaufen.
Er ballte seine herabhängenden Hände zu
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