Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
Stockwerk in Empfang und verstauten sie in den Magazinen der altehrwürdigen Häuser. Pfiffe ertönten, wenn sich die Stauer im allgemeinen Tumult bemerkbar machen wollten. Man verständigte sich mit verabredeten Handzeichen.
Franz hielt sich in der Mitte der Straße. Er wollte nicht Gefahr laufen von herabfallenden Stauern oder Kaffeesäcken erschlagen zu werden. Er wendete sich in die entgegengesetzte Richtung des Warenstroms, dort vermutete er den Hafen.
Immer sorgsam der Vielzahl von Fuhrwerken ausweichend erreichte er schon bald eine breite Straße, die von West nach Ost verlief und mit Menschen und Gespannen verstopft war. In einiger Entfernung erhob sich ein schmaler hoher Kirchturm mit einem überaus imposanten Turmhelm. Franz konnte sich nicht erinnern, jemals ein ähnlich hohes Turmdach gesehen zu haben. Franz schritt zügig aus, schon bald öffnete sich vor ihm ein Torhaus im klassizistischen Stil, nicht etwa ein mittelalterliches Seetor, wie er vermutet hatte. Es trug eigenwillige Verzierungen auf dem Dach. Das neue Tor stand eingekeilt zwischen unansehnlichen Häusern unterschiedlichster Größe und Geschossigkeit. Eine Stadtmauer suchte Franz in diesem Stadtteil vergebens. Die aneinandergereihten Häuser erfüllten denselben Zweck.
Durch das Tor wehte ein ordentlicher Luftzug, der sich – vom Hafen her – durch die schmale Öffnung drängte. Franz hielt seinen Zylinderhut fest, der sonst unweigerlich den Rückweg in die Stadt angetreten hätte.
Kaum war er aus dem Schatten des Tores getreten, bot sich ein überwältigender Anblick. Vor ihm glitzerte die Wasserfläche der Unterwarnow, die in nordwestlicher Richtung träge dem Meer zustrebte. Der Wind hatte Schaumkronen auf die winzigen Wellen des Flusses gezaubert, die sich glucksend an den Rümpfen unzähliger Schiffe und Boote brachen. Möwen schaukelten in der steifen Brise und erspähten von ihrem luftigen Ausguck den einen oder anderen Leckerbissen, den man achtlos über Bord warf. Dann stießen die Vögel unter aufgeregtem Gezanke zielsicher ins Wasser, gerade noch rechtzeitig, um den begehrten Brocken vor dem Versinken zu bewahren.
Alle Straßen, die zum Hafen führten, zwängten sich durch enge Torhäuser, die, bis auf das gerade durchquerte, allesamt den Eindruck erweckten, schon bessere Zeiten gesehen zu haben.
Stabile hölzerne Brücken, die weit in den breiten Strom der Warnow hineinragten, machten den Übergang zwischen Wasser und Strand möglich. Die Landungsbrücken boten Liege- und Ankerplätze für sorgsam vertäute Schiffe und Boote. Einige Brücken waren außerdem mit mächtigen Dalben gesichert. Dort machten die größeren Schiffe fest. Franz fiel ein gedrungener hölzerner Ladekran ins Auge, der anscheinend mit Leichtigkeit große Ballen aus einem Schiffsrumpf an Land hievte. Ein Durcheinander von Masten, Rahen, gerefften Segeltuchs und Takelage hätte jeden unbedarften Betrachter verwirrt, so auch Franz.
Ein stetiger Strom von Schauerleuten trabte be- oder entladend zwischen Schiffen und Fuhrwerken hin und her. Franz suchte sich eine wenig frequentierte Brücke aus und hatte als müßiger Zuschauer Gelegenheit, die vertäuten Schiffe aus der Nähe zu betrachten. Der lebhafte Wind trieb ihm den Geruch von Holzfeuern und Pech in die Nase. Was Wunder, wo auf mehreren Strandwerften Schiffsrümpfe gesäubert, ausgebessert, kalfatert, geteert und beschlagen wurden.
Franz schlenderte die Brücke entlang, doch er bekam selten Schifferleute zu sehen. Vielleicht verbrachten die Wachen ihre Arbeitszeit unter Deck. Den Großteil der Crewmitglieder vermutete er ohnehin in der Stadt. Im Hafenviertel gab es eine Unzahl von Schenken, deshalb nahm er an, die Fahrensleute verspannen dort ihr Garn.
Plötzlich überkam ihn die Vorstellung, Johann hätte an eben dieser Stelle gestanden, und habe – von Fernweh oder anderen fragwürdigen Umständen getrieben – eine Passage nach Hamburg oder Amsterdam gebucht, um sich von dort aus nach Amerika oder einem anderen fernen Kontinent einzuschiffen.
Elektrisiert von seiner Idee strebte er der Stadt zu, bereit, den Nächstbesten, der ihm über den Weg laufen sollte, auszufragen.
„Sagt mir, guter Mann ...“, Franz packte kurzerhand einen Schauer beim Arm und trug sein Anliegen vor, „... wo kann ich erfahren, wer den Hafen als Passagier verlassen hat?“
„So ’n fienen wie du einer büst?“, wurde er gefragt.
„Ja. Jemand, der seine Passage gut bezahlen kann.“ Franz schaute den Mann
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