Weiße Geheimnisse: Historischer Roman (Hohen-Lützow-Saga) (German Edition)
gekommenen Person, konnte er indes nicht aufgefunden werden. Die Zuordnung einer Identität wollten der oder die gemeinen Täter auf diese Weise verhindern oder zumindest erschweren, was dem ruchlosen Personenkreis bisher auch glänzendst gelungen ist. Die Bürger Rostocks sind aufgerufen, die Familie oder bekannte Personen auf deren gute Gesundheit hin zu überprüfen. Sollte indes ein Bürger eine geschätzte Person vermissen, so sei er an dieser Stelle aufgefordert, den Fall unverzüglich anzuzeigen und sich den Behörden zur Identifikation zur Verfügung zu stellen. Der Leichnam ist im Hinblick auf die Einhaltung hygienischer Bestimmungen nur noch bis Freitag dieser Woche im Zergliederungsinstitut der hiesigen Universität zur Inaugenscheinnahme freigegeben.“
Wie überaus treffend formuliert, dachte Franz. Alles passte so erschütternd genau auf die Situation, in der er sich bei der Suche nach seinem Bruder befand. Er faltete die Zeitung mit übergroßer Sorgfalt zusammen. Währenddessen fragte er sich, ob es wirklich erst wenige Minuten her sei, da er voller Erwartung hier Platz genommen habe.
Er erlaubte sich einen Blick in das Wartezimmer. Nur noch ein Patient saß zusammengesunken auf seinem Stuhl. Franz glaubte jedoch, die Ungewissheit nicht länger ertragen zu können. Am liebsten wäre er sofort in Ernsts Praxis gestürmt, um den Arzt zu bitten, ihn zur Polizeipräfektur zu begleiten. Aber er durfte den neuen Freund nicht brüskieren. Deshalb sprang er auf, verließ den Warteraum und wanderte im schummrigen Treppenhaus unruhig auf und ab. Die Zeit schien still zu stehen. Quälend langsam verstrichen die Sekunden, die Minuten. Endlich! Endlich, trat jemand auf den Flur, grüßte ihn höflich – ihn, den unruhig Umherwandelnden. Franz tröstete sich damit, nur noch die Behandlung eines einzigen Kranken abwarten zu müssen. Doch gleich darauf blickte er sorgenvoll die Treppe hinunter, ob dort noch ein Leidender auftauche. Ernst würde niemanden abweisen, der bei ihm anklopfte.
Als Franz eine Bewegung an der Wartezimmertür bemerkte, war er sofort zur Stelle, nahm dem Herrn sogar die Klinke aus der Hand. In seiner Eile wäre er fast mit Ernst zusammengestoßen, der, augenscheinlich erschöpft von einem anstrengenden Vormittag, auf ihn zukam. Franz riss die Zeitung vom Stuhl hoch, auf dem er das Blatt hatte liegen lassen und wedelte damit aufgeregt umher.
„Hast du das gelesen, das mit der Leiche?“, fragte er, ohne sich mit einer Begrüßung aufzuhalten.
Ernst sah Franz erstaunt an, fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht und fragte verwirrt: „Was für eine Leiche?“
„Hier steht es!“ Franz faltete die Zeitung auseinander und hielt dem Arzt den beunruhigenden Artikel kommentarlos unter die Nase. Seine Miene verhieß nichts Gutes. Ernst machte sich sofort daran, die Zeilen zu lesen. Betroffen ließ er die Zeitung sinken.
„Glaubst du etwa, es ist Johann, den sie dort ...“ Er sprach das Ungeheuerliche nicht aus. „Komm!“ Er ergriff Franz’ Arm und zog ihn mit sich. „Ich schließe hier ab und wir machen uns sofort auf den Weg zur Polizei!“
Franz, froh darüber, einen Gleichgesinnten gefunden zu haben und nicht noch viele Worte machen zu müssen, verließ in Begleitung des Arztes das Haus.
Auf der Straße suchte Ernst nach Worten, mit denen er den Mann an seiner Seite ansprechen könnte. Er fragte sich pausenlos, ob es Franz überhaupt möglich sei, an dem kopflosen Leichnam Merkmale zu finden, die eindeutig genug wären, die Identität des Toten festzustellen. Oder besser für Franz, eben nicht festzustellen. Vielleicht deuteten aber auch Fakten, die nur der Polizei bekannt waren, in eine völlig andere Richtung. Ernst hoffte von ganzem Herzen, Franz bliebe der grausige Anblick der Leiche erspart.
Franz dürften ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen sein, denn er sagte plötzlich: „Hoffe für mich, dass ich meinen Bruder gut genug kenne. Ich will einfach ausschließen, ihn dort vor mir zu haben.“
Ernst drückte nur zustimmend Franz’ Arm. Was hätte er auch sagen können? Die letzte Strecke ihres Weges legten sie schweigend zurück. Ernst umfasste Franz bei den Schultern und gab ihm mit leichtem Druck seiner Hand zu verstehen, nicht allein zu sein.
Franz schaute den Arzt dankbar an und trat in die Amtsstube ein.
Den einfachen Raum teilte eine hölzerne Barriere, an der Begehr suchende Bürger nacheinander Aufstellung zu nehmen hatten. Um diese Tageszeit
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