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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Sahler
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Teil der ausgegrabenen Erde bedeckt. In der Mitte ließen sie einen Rauchabzug frei, der geöffnet und geschlossen werden konnte. Seitwärts waren in der Überdachung zwei Fenster ausgespart, mit einer Art Blase verschlossen – einem Material, das die Bauern auf ihrem Fuhrwerk mitgebracht hatten –, durch welche notdürftig Licht in die Behausungen fiel. Auch vergaßen sie nicht eine schmale Tür, durch die man in den Bau kriechen konnte. In der Mitte dieser Maulwurfswohnung befand sich die Feuerstelle, von geflochtenem Strauchwerk und Erde befestigt, die zum Kochen und als Heizung diente.
    Schweigend sahen die Deutschen den Einheimischen zu, wie sie die erste Wohnung errichteten. Obwohl sich kaum einer der Faszination darüber entziehen konnte, wie vortrefflich sich die Russen mit dieser Art von Behausung den widrigen Umständen anzupassen vermochten, erfasste doch auch alle das Entsetzen darüber, was aus ihrem Traum vom Paradies geworden war: Am Ende ihrer monatelangen Reise mussten sie für den Winter unter die Erde kriechen wie wilde Tiere.
    Als alle begriffen hatten, wie sie beim Bau vorzugehen hatten, übernahmen Bernhard und Matthias die Verteilung der Aufgaben. Einige wurden zum Holzholen in das Waldstück geschickt, andere flochten die Dächer zusammen, und die kräftigsten Männer waren dazu bestimmt, die Erdlöcher auszuheben.
    Daniel stellte sich neben Christina, die mit vor der Brust verschränkten Armen die erste fertiggestellte semljanka begutachtete und sich auf die Unterlippe biss. »Na, da habt ihr ein kuscheliges Plätzchen für eure kleine Familie.«
    Christina funkelte ihn an. »Spar dir deinen Spott!«, schalt sie ihn. »Sieh lieber zu, dass du selbst irgendwo unterkommst!«
    Daniel grinste. »Das wird nicht nötig sein. Mein Auftrag ist hier erfüllt.«
    Christina zuckte zusammen und starrte ihn von der Seite an, wartend, dass er fortfuhr.
    »Sobald ich euch hier in Sicherheit weiß, breche ich nach Saratow auf. Ich bleibe nicht in der Kolonie.«
    Ihr Herz sank. »Du kannst doch nicht einfach gehen«, erwiderte sie schwach. »Die Soldaten …«
    Er schüttelte den Kopf. »Sie haben dafür gesorgt, dass hier die Kolonie entsteht. Alles andere ist ihnen egal. Sie werden mich ziehen lassen, wenn ich ihnen erkläre, dass ich im Frühjahr zurückkehre. Ich bin nicht zum Ackerbau geeignet.«
    »Kommst du wirklich wieder?«, fragte sie verzagt.
    »Ist dir das wichtig? In eurem jungen Familienglück ist doch wohl kein Platz für einen leichtlebigen Junggesellen wie mich.«
    »Ach, hör auf damit!«, erwiderte sie erzürnt. »Du weißt, dass du mir wichtig bist. Du wirst mir fehlen, Daniel.«
    Er schloss theatralisch die Augen. »Sag das noch einmal, Schönste, das ist Labsal für meine geschundene Seele nach dem bösen Spiel, das du mit mir getrieben hast.«
    »Niemals habe ich ein Spiel mit dir getrieben«, erwiderte sie und strich sich eine Locke aus der Stirn.
    »Du hättest mir von Anfang an sagen müssen, dass du verheiratet bist und ein Kind erwartest. Ich hätte niemals Hoffnungen gehegt.«
    Christina holte tief Luft und stieß sie zischend wieder aus. Ihr Herz brannte, klärende Worte drängten heraus, aber sie wusste nicht, wo beginnen und wo aufhören.
    »Wo ist dein Kind überhaupt?«, fragte Daniel in ihre Gedanken hinein.
    »Veronica hat sich als Amme angeboten, und ich habe gerne angenommen«, stieß sie hervor. »Sie wird mit uns zusammen in einem Loch wohnen. Das erscheint mir das Praktischste.«
    Daniel wandte sich ihr zu. Auf einmal stand in seinen Zügen ein bittender Ausdruck. »Christina, du musst mir etwas versprechen. Bitte nehmt Sebastian bei euch auf und seid gut zu ihm! Er ist ein lieber, schlauer Junge. Er ist der Einzige, um den ich mich wirklich sorge, wenn ich nach Saratow reite.«
    Christina zuckte die Achseln. »Auf einen Esser mehr oder weniger kommt es nicht an. Und er erhält ja sein eigenes Tagegeld. Mir soll es recht sein.«
    Daniel packte sie an der Schulter. »Sei lieb zu ihm, Christina, bitte! Er weiß nicht, zu wem er gehört. Sein Bruder Adam lässt ihn völlig links liegen. Und seit Frieda gestorben ist, erst recht.«
    »Ist das mein Problem?«, gab sie unwirsch zurück. »Wer hat ihn gebeten, sich dem Treck anzuschließen? Nun muss er zusehen, wie er zurechtkommt. Aber sorg dich nicht«, fügte sie hinzu, als sich Daniels Miene verfinsterte, »verhungern lassen werden wir ihn nicht.«

    Keiner war glücklich mit den Erdhöhlen, aber einen packte die

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