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Weiße Nächte, weites Land

Weiße Nächte, weites Land

Titel: Weiße Nächte, weites Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Sahler
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anderes Feuer brannte als bloße Liebeslust. Eine, an der er sich reiben konnte, die ihn herausforderte.
    So eine hatte er bislang noch nicht gefunden.
    Eleonora wandte suchend den Kopf. »Wo sind die beiden Mädchen?« Sofort trat ein Ausdruck von Panik in ihre Züge.
    Bernhard legte die Hand auf ihren Arm. »Ach, lass sie! Sie können sich hier nicht verlaufen. Die Barackensiedlung ist weithin sichtbar und stadtbekannt. Helmine wird auf Klara aufpassen.«
    Er wandte sich in Richtung Stadttor. »Komm, lass uns zurück zu den anderen gehen! Mal schauen, ob sie uns schon einen Vorsteher zugeteilt haben und ob es Neuigkeiten gibt.«

    Klara und Helmine staunten mit offenem Mund. Eine wimmelnde Welt voller fremdartiger Geräusche und Gerüche tat sich hier vor den beiden Mädchen auf, die nie im Leben etwas anderes kennengelernt hatten als das beschauliche dörfliche Leben.
    Die Leiber der riesigen Schiffe, die entladen wurden, quietschten und knarrten in der leichten Brise, die Möwen kreischten ohne Unterlass, Rufe in den exotischsten Sprachen flogen durch die Luft. Matrosen und Kaufleute wieselten geschäftig am Ufer entlang.
    An einer Anlegestelle, über der ein intensiver Fischgeruch hing, wurden zum Teil noch zappelnde Heringe in Fässern entladen, an einer anderen wechselten Säcke mit Getreide von einem muskelbepackten Arm zum nächsten.
    An der Uferpromenade reihten sich Lagerhäuser und Schreiberkontore, Herbergen und Spelunken aneinander. Pferde trotteten über das Straßenpflaster, mussten einander auf dem engen Uferweg ausweichen und zogen hoch beladene Fuhrwerke hinter sich her, von umtriebigen Kaufleuten schnalzend mit der Peitsche angetrieben.
    Helmines Blick blieb an einer Schenke hängen, vor der eine Handvoll Matrosen mit seitlich geknoteten Halstüchern und schief sitzenden Mützen mit einer Gruppe buntgekleideter, stark geschminkter Frauen schäkerte. Da küssten sich zwei auf offener Straße und verschwanden Arm in Arm hinter der nächsten Mauer. Helmine stupste Klara in die Seite und wies feixend auf das unschickliche Treiben.
    Klara fasste nach der Hand ihrer Base. »Sollen wir lieber umkehren?« In ihrer Stimme schwang ein leichtes Zittern mit. Zu frisch schmerzte noch die Erinnerung an ihr Erlebnis im Wald, als sie allein unterwegs gewesen war. Jetzt hatte sie zwar Helmine dabei, aber ob die nur fünf Jahre ältere Cousine etwas auszurichten vermochte, falls sie angegriffen und verschleppt werden sollten? Die exotisch und wild aussehenden Männer mit der wettergegerbten Haut, den wuchernden Bartstoppeln und den Armen wie Baumstämme flößten ihr Angst ein.
    »Ach, nun sei kein Hasenfuß, Klara!«, erwiderte Helmine unbeschwert. »Wer uns Böses will, muss uns erst einmal kriegen. So schnell wie wir laufen die Fettwänste nie!« Sie lachte, zog die Jüngere mit sich, um auf der Kaimauer zu balancieren, aber Klara brauste das Blut in den Ohren. Lichtpunkte tanzten vor ihren Augen.
    Plötzlich stockte Helmine. Ihr Blick fiel an der Uferpromenade auf eine weitere Spelunke, vor der lediglich zwei Matrosen beisammenstanden, jeder mit einem Krug in der Hand, aus dem sie von Zeit zu Zeit tranken, während sie miteinander schwatzten. Hinter dem Backsteinhaus tauchte ihre Mutter auf. Alfons zerrte sie am Arm hinter sich her.
    Während Klara von den Möwen abgelenkt wurde, die sich auf einen Strom von glitschigen Heringen stürzten, der unter dem Fluchen eines Packers aus einem zerborstenen Fass quoll, beobachtete Helmine ihre Mutter.
    Diese redete auf Alfons ein, zog den Kopf zwischen die Schultern und huschte in die Schenke.
    Alfons trippelte von einem Bein aufs andere, während er mit Fingern und Händen zu wedeln begann.
    Helmine hob einen Arm. »He ho, Alfons!«
    Der Bruder trabte auf sie zu. Ein vertrautes Bild, denn Alfons war den größten Teil der Strecke zwischen Büdingen und Lübeck gelaufen. Die anderen hatten sich zunächst darüber lustig gemacht, später aber gestaunt, mit welcher Ausdauer der Junge im gleichmäßigen Trott ein Bein vors andere setzte. Manchmal, wenn er sich zu weit von der Gruppe entfernte, trottete er ein Stück zurück, um wieder Anschluss zu haben, so dass er am Ende weit mehr Meilen zurückgelegt hatte als alle anderen.
    Dabei hatte Helmine angenommen, Alfons wäre einer der Ersten, die schon nach wenigen Meilen schlappmachen würden.
    Alfons grinste, als er bei den beiden Mädchen anlangte. Klara schrak zusammen. »Wo kommst du auf einmal her, Alfons?«
    »Äh,

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