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Weißer Mond von Barbados

Titel: Weißer Mond von Barbados Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Evelyn
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die Freundin.
    »Ich konnte nicht schlafen«, sagte Judith. »Gibst du mir noch eine Tasse Kaffee, bitte.«
    »In was für einem Schlamassel steckst du denn diesmal?« fragte Nancy und goß Kaffee ein. »Wer ist der Kerl?«
    »Niemand, den du kennst, und es ist nicht so, wie du denkst. Ich meine … es ist etwas anderes, ich habe ein paar Sorgen, aber es wird bald in Ordnung sein.«
    »Erzähl mir, was los ist. Vielleicht fällt mir was dazu ein. Denn weißt du, mein Schatz, wenn du schon ohne Schlaf auskommen kannst – ich kann es nicht. Ich brauche den Schlaf für meine Schönheit. Wenn du mehrmals in der Nacht aufstehst, störst du mich.«
    »Es tut mir leid, bitte entschuldige. Wirklich – es ist nur vorübergehend.«
    Judith zündete sich eine Zigarette an und vermied Nancys forschenden Blick. Nancy hatte recht, sich zu beklagen. Ihr ruheloses Herumlaufen in der Nacht mußte sie ja stören. Die Versuchung, Nancy alles zu erzählen, war groß. Endlich einmal darüber mit jemand sprechen können! Nancy war gescheit und realistisch. Und sie war eine sehr verständnisvolle Freundin gewesen, als es zum Bruch mit Richard Paterson kam und Judith Trost und Halt gebraucht hatte. Aber sie konnte nicht über Feodor mit ihr sprechen. Sie durfte nichts von dem erzählen, was ihr jetzt Sorge bereitete und was viel schlimmer war als diese alberne, längst vergessene Liebesaffäre mit Richard. Diesmal war die Situation tödlich ernst. Das wußte sie. Das wußte auch Feodor. Seine zynischen Scherze, mit denen er die Gefahr überspielen wollte, täuschten sie nicht. Es war so seine Art. Er würde sterben mit einem albernen Scherz auf den Lippen. Nancy konnte nicht helfen. Niemand konnte helfen.
    Loder! Nur er. Er war der einzige. An ihn klammerte sie sich in Gedanken.
    »Kann ich dir wirklich nicht helfen?« fragte Nancy.
    Judith schüttelte den Kopf. »Nein. Wirklich nicht. Kümmere dich nicht um mich, Nancy. Ich sage dir ja, es geht bald vorbei.«
    Sie quälte sich ein kleines Lächeln ab und versuchte es auch einmal mit einem Scherz. »Du wirst sehen, eines Tages finde ich doch noch einen lieben braven Mann fürs Leben.«
    »Du nicht«, meinte Nancy gelassen. »Du bist zum Opfer geboren, mein Schatz. Dir ist nicht zu helfen, weil du dir nämlich einbildest, wenn du es mit einem Mann zu tun hast, hätte das was mit Liebe zu tun.«
    »Von Liebe ist in diesem Fall gar keine Rede«, sagte Judith eifrig. »Also da täuschst du dich wirklich. Ich bin nicht verliebt.«
    »Oh, Gott schütze mich!« rief Nancy und stand auf. »Wenn du dir schon selber etwas vormachen mußt, versuche es nicht bei mir. Ich bin nicht so blöd. Mir kannst du nichts vormachen.«
    Die Tür hinter sich zuschlagend verschwand sie aus der Küche.
    Sverdlov war nach Washington geflogen und hatte seine Arbeit aufgenommen, als sei alles ganz normal. Anna Skriabine saß mit braver Miene und artig aneinander gelegten Knien neben seinem Schreibtisch und nahm das Diktat auf. Sie sollte ihn beobachten, war ihr aufgetragen worden, und aufpassen, ob irgend etwas an ihm anders sei als sonst.
    Sie fand nur, daß er schlecht aussah, sehr müde, mit Löchern in den Wangen und dunklen Schatten unter den Augen.
    »Möchten Sie jetzt Ihren Tee, Genosse Sverdlov?« fragte sie besorgt.
    Er blickte auf und lächelte. Er hasste ihre sanfte kehlige Stimme, den sanften hingebungsvollen Blick. Jedesmal, wenn er sie ansah, mußte er an Kalinin denken. Kalinin, der früher hier gesessen hatte, tüchtig und korrekt, und sachlich und intelligent für ihn gearbeitet hatte. Kalinin, ein Sowjetrusse der neuen Generation, freier und unabhängiger, als es die Väter waren, befähigt zu eigenem Denken, mit offenem Blick und klugem Urteil. Und dann dachte er daran, was dieser Kalinin jetzt war – ein zerbrochenes, geschundenes Stück Mensch, nur noch am Leben erhalten, damit er für ihn, für Sverdlov, das Grab bereiten konnte.
    »Ja«, sagte er, »bringen Sie mir den Tee, Genossin. Dann werden wir einen Brief an meine Frau schreiben.«
    »Sie sehen müde aus, Genosse«, wagte sie zu sagen. »Ich hoffe, Sie hatten keinen Ärger.«
    »New York war ziemlich anstrengend.« –
    Sverdlov lehnte sich zurück und betrachtete sie leicht amüsiert. »Besonders anstrengend ist es, wenn man einer widerspenstigen Dame den Hof machen muß, die sich nicht entscheiden kann. Sagen Sie, Anna – wie ist das denn mit den Frauen? Sind sie wirklich so schwer zu erobern?«
    »Das müßten Sie doch besser

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