Weisser Oleander
Rons Geld versteckt hatte – und folgte ihr über den rissigen Weg auf die splitternde Holzveranda. Kaum hatte Rena die Tür geöffnet, schoss eine weiße Katze an ihr vorbei ins Haus. »Sascha, böser Bube«, sagte sie. »War draußen ficken.«
Ich brauchte einen Moment, bis sich meine Augen an die Dunkelheit in dem kleinen Haus gewöhnt hatten. Möbel, war mein erster Eindruck, jede Menge Möbel, die wild durcheinander standen wie in einem Trödelladen. Zu viele Lampen, keine davon brannte. Ein dunkelhaariges dralles Mädchen lag auf einer grün gemusterten Samtcouch und schaute Fernsehen. Sie schubste die weiße Katze weg, als sie auf ihren Schoß sprang. Sie sah mich an, schien nicht besonders beeindruckt und wandte sich wieder ihrem Fernsehprogramm zu.
»Yvonne«, sagte Rena. »Hat mehr Sachen. Du helfen.«
»Mach doch selbst«, sagte Yvonne.
»He, was ich dir sage? Faule Kuh!«
» Chingao , das musst du grade sagen!« Doch sie wuchtete sich von der durchgesessenen Couch hoch, und da sah ich, dass sie schwanger war. Ihre dunklen Augen unter den dünnen, halbmondförmig gezupften Brauen begegneten meinen. »Schon mal am falschen Platz gewesen?«
Rena schnaubte. »Was du meinst, ist richtige Platz? Sag’s mir, und alle gehen wir hin.«
Das Mädchen zeigte ihr den Stinkefinger, holte ein Sweatshirt von dem altmodischen Garderobenständer und zog sich träge die Kapuze über das Haar. »Na los.«
Wir gingen nach draußen in den Regen, der mittlerweile nur noch ein feines Tröpfeln war; sie nahm zwei Plastiktüten, ich zwei weitere. »Ich bin Astrid«, sagte ich.
»So?«
Wir schleppten die Sachen in ein Zimmer am Ende des Flurs, gegenüber der Küche. Zwei ungemachte Betten. »Das da ist deins«, sagte Yvonne und ließ meine Tüten darauf fallen. »Lass bloß die Finger von meinen Sachen, oder ich bring dich um!« Sie drehte sich um und ließ mich allein.
Die Unordnung im Zimmer suchte ihresgleichen. Kleidungsstücke lagen auf dem Bett, der Kommode, stapelten sich an den Wänden und quollen aus dem geöffneten Schrank hervor. Ich hatte noch nie so viel Kleidung auf einem Haufen gesehen. Und Frisurenzeitschriften, zerlesene Foto-Love-Stories. Über ihr Bett hatte Yvonne ein paar herausgerissene Zeitschriftenfotos gehängt: Mädchen und Jungen, die Händchen hielten oder ohne Sattel am Strand entlangritten. Auf der Kommode bewachte ein chinesisches Papp-Pferd, geschmückt mit seidigen roten Fransen und einem Halfter aus Goldfolie, ein grellgelbes Transistorradio, einen Schminkkasten mit zwanzig verschiedenen Lidschatten und ein Bild von einem jungen Fernsehschauspieler in einem Zwei-Dollar-Bilderrahmen.
Ich sammelte den Kram auf meinem Bett zusammen – ein nasses Handtuch, einen Overall, ein rosa Sweatshirt, einen dreckigen Teller – und überlegte, was wohl weniger Anstoß erregen würde: die Sachen auf den Boden oder auf das andere Bett zu werfen. Auf den Boden, entschied ich dann. In der Kommode hatte sie allerdings zwei Schubladen freigeräumt und mir auch ein halbes Dutzend leere Bügel im Schrank gelassen.
Ich räumte meine Kleider in ordentlichen Stapeln in die Schubladen, hängte die besten Teile auf, machte das Bett. Für den Rest war kein Platz. Lass bloß die Finger von meinen Sachen , hatte sie mich gewarnt. Genau das Gleiche hatte ich auch einmal gesagt. Ich musste an mein Zimmer bei Claire denken, daran, wie ich es zum ersten Mal gesehen und mich gefragt hatte, wie ich es je füllen könnte. Sie hatte mir zu viel gegeben; ich konnte es gar nicht halten. Ich hatte das hier verdient. Ich räumte die übrigen Sachen in die Plastiktüten und schob sie unter den Metallrahmen des altmodischen Bettes, all meine Artefakte. All die Personen, die ich gewesen war. Es war ein richtiger Friedhof da unten. Ich hängte den Cartoon, den Paul Trout gezeichnet hatte, über meinem Bett auf. Ich lasse mich von niemandem berühren. Ich fragte mich, wo er gerade war und ob ich je wieder etwas von ihm hören würde. Ob ihn eines Tages jemand lieben würde, ihm zeigen würde, was wirkliche Schönheit ist?
Nachdem ich ausgepackt hatte, ging ich durch den schmalen Flur in die Küche, wo Rena mit einem anderen Mädchen saß, das ihr dunkles Haar magentarot gefärbt hatte. Beide hatten eine geöffnete Flasche Heineken vor sich stehen und teilten sich einen schmuddligen Glasaschenbecher. Überall auf den Ablagen türmte sich schmutziges Geschirr und der Verpackungsmüll von Take-away-Mahlzeiten. »Astrid, das ist
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