Weisser Oleander
sich mit dem Moder aus dem Van, den Zigaretten und dem Gestank nach Alkoholresten. Rena schnippte ihre Zigarette aus dem Fenster.
Yvonne knipste die Innenbeleuchtung an und blätterte in einem von Feuchtigkeit gewellten Seventeen-Heft. Das blonde Mädchen auf dem Titelbild lächelte tapfer, obwohl es offensichtlich bestürzt war, sich in einer solchen Umgebung wiederzufinden. Ich schaute ihr über die Schulter in das Heft. Ich hatte noch nie verstehen können, wo sie all diese fröhlichen, pickelfreien Teens fanden. Yvonne hielt bei einem Foto von einem Mädchen und einem Jungen inne, die ohne Sattel auf einem fetten Pferd am Strand entlangritten. »Bist du schon mal geritten?«
»Nein. Aber ich bin mal auf der Pferderennbahn gewesen.« Medeas Stolz bei fünf zu eins. Seine Hand auf ihrer Taille. »Und du?«
»Ich war mal auf der Ponyreitbahn im Griffith Park«, sagte Yvonne.
»Da!«, rief Rena plötzlich und zeigte nach draußen.
Vor einem grauen, strukturverputzten Haus standen schwarze Plastiksäcke neben den Mülleimern. Rena hielt an, und Niki sprang aus dem Auto und schlitzte den Verschluss des einen Sackes mit dem Taschenmesser auf. »Kleidung.« Sie und Yvonne reichten mir die Säcke in den Laderaum hoch. Sie waren schwerer, als ich gedacht hatte; wahrscheinlich waren unten drunter noch Haushaltsgeräte. Yvonne hob sie ganz einfach hoch; sie war so stark wie ein Mann. Niki schwang die Säcke mit einer geübten Bewegung nach oben.
»Ich bin so was von müde!«, sagte Yvonne, als wir weiterfuhren. »Ich hasse mein Leben!« Sie füllte die Kaffeetasse, trank sie in einem Zug aus, füllte sie dann noch einmal und reichte sie mir. Es war Instantkaffee, heiß und zu stark.
Rena hinter dem Steuer zog an ihrer Zigarette; sie hielt sie wie einen Bleistift. »Ich dir gesagt, du sollst wegmachen. Wofür du brauchst Baby? Dumme Kuh!«
Rena Grushenka. Rockmusik und Schimpfwörter, die beide schon zwanzig Jahre aus der Mode waren, preiswerter Stoli Wodka aus dem Discountmarkt Bargain Circus. Sie richtete ihre geübten schwarzen Elsternaugen auf den Bordstein mit seinen ordentlich aufgereihten Mülleimern und Recycling-Tonnen. Mit diesen Augen konnte sie in der Dunkelheit sehen. An diesem Morgen trug sie eine Halskette aus silbernen Milagros, Votivanhängern, die Arme, Hände und Beine darstellten. Eigentlich sollte man sie während des Gebets an die Samtröcke der Heiligen Jungfrau heften, doch für Rena waren sie bloß schmückendes Beiwerk.
»He, ihr Rübenfresser!«, rief sie aus dem Fenster, während wir uns an einem alten, in zweiter Reihe geparkten Cadillac vorbeiquetschten. Die Fahrer, ein mexikanisches Paar, leerten gerade die Recycling-Tonne von irgendjemandem aus. Ihr Kofferraum und Rücksitz waren prall gefüllt mit leeren Flaschen und Säcken voller alter Konservendosen. »Dobro utro, kulaks.« Sie lachte mit weit geöffnetem Mund, ihre Goldfüllungen glitzerten.
Die Mexikaner starrten uns ausdruckslos an, während wir vorbeiklapperten.
Rena stimmte mit ihrem schweren Akzent in Micks Gesang ein, klopfte im Takt mit der Innenseite ihres Ringes gegen das blaue Steuer und reckte ihren Hals vor und zurück wie ein Huhn. Sie hatte eine tiefe Stimme und ein gutes Gehör.
Niki gähnte und reckte sich auf dem Beifahrersitz. »Einer muss mich nachher bei der Arbeit vorbeifahren, ich muss noch meinen Pick-up abholen. Gestern hat Werner mich mit zu sich nach Hause genommen.« Sie grinste und zeigte dabei ihre schiefen Vorderzähne.
Rena schlürfte aus ihrem Winchell-Kaffeebecher. »Die Knackwurst.«
»Viermal hat er’s gemacht«, sagte Niki. »Ich kann kaum noch laufen.« Werner, angeblich ein deutscher Rockmusik-Promoter, kam immer auf ein Bier in die Bavarian Gardens, wo Niki drei Abende in der Woche arbeitete, obwohl sie noch nicht einundzwanzig war. Einer von Renas Freunden hatte ihr einen gefälschten Personalausweis besorgt.
»Du musst mitbringen Knackwurst. Ich muss kennen lernen.«
»Das hättste wohl gern!«, sagte Niki. »Der brauch’ euch Zicken doch bloß einmal anzugucken und sitzt gleich wieder im ersten Flugzeug zurück nach Frankfurt!«
»Du hast ja bloß Angst, dass er rauskriegt, dass du in Wahrheit ein Mann bist«, sagte Yvonne.
Ihre Unterhaltung plätscherte weiter so dahin, unablässig wie Wellen. Ich stützte mich mit den Unterarmen auf die blaue, verrostete Ablage zwischen den Vordersitzen. Vor mir lag eine Müllcollage: leere schwarze Sobranie-Schachteln, spanische Flugblätter,
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