Weisser Oleander
schnitt es in Fransen. Dann steckte sie eine weiße Oleanderblüte in eines der Knopflöcher.
Jemand hämmerte gegen unsere Tür. Sie blickte von dem neuen Gedicht auf, das sie gerade schrieb. Sie schrieb jetzt andauernd. »Glaubst du, dass er etwas Wichtiges auf der Festplatte verloren hat? Vielleicht eine Sammlung Essays, die in diesem Herbst fällig gewesen wäre?« Es machte mir Angst, wie die Tür in den Scharnieren wackelte. Ich musste an die Druckstellen auf den Armen meiner Mutter denken. Barry war kein brutaler Mensch, doch irgendwo gibt es für jeden eine Grenze. Wenn er jetzt hereinkam, würde er sie bestimmt umbringen.
Doch meiner Mutter schien das gar nichts auszumachen. Im Gegenteil: je fester er gegen die Tür schlug, desto glücklicher sah sie aus, ihre Wangen hatten das frische Rosa wiedergewonnen, ihre Augen leuchteten. Sie hatte ihn zu sich zurückgelockt. Sie nahm das Messer aus dem Stiftekrug und klappte es an ihrem Oberschenkel auf. Wir konnten ihn brüllen und schreien hören, seine samtige Stimme klang vom vielen Schreien ganz abgewetzt. »Ich bring dich um, Ingrid, bei Gott, ich bring dich um!«
Das Hämmern hörte auf. Meine Mutter lauschte, während sie das Messer geöffnet vor die weiße Seide ihres Morgenmantels hielt. Plötzlich war er auf der anderen Seite der Wohnung und hämmerte gegen die Fenster; wir konnten ihn sehen, sein wutverzerrtes Gesicht zwischen den Oleanderbüschen. Ich wich ängstlich an die Wand zurück, doch meine Mutter blieb ungerührt in der Mitte des Zimmers stehen, lodernd wie ein Buschfeuer.
»Ich bring dich um!«, schrie er.
»So hilflos in seiner Wut«, sagte meine Mutter zu mir. »Impotent, könnte man fast sagen.«
Er zerbrach eine Fensterscheibe. Ich konnte sehen, dass er das nicht beabsichtigt hatte, denn er zögerte einen Moment, ehe er in einer plötzlichen Anwandlung von Kühnheit den Arm durch das Fenster stieß und nach dem Schnappriegel tastete. Schneller, als ich es je für möglich gehalten hätte, durchquerte sie das Zimmer, hob den Arm und stach ihm in die Hand. Der Stich saß. Sie musste das Messer ruckartig herausziehen, und sein Arm schoss durch das Loch in der Scheibe zurück. »Du Drecksau!«, brüllte er.
Am liebsten hätte ich mich versteckt und mir die Ohren zugehalten, doch ich konnte den Blick nicht abwenden. So endeten also Liebe und Leidenschaft. Im Nachbarhaus gingen die Lichter an.
»Die Nachbarn rufen gerade die Polizei«, sprach sie durch das zerbrochene Fenster. »Du verschwindest besser.«
Er stolperte davon, und kurz darauf hörten wir ihn gegen die Wohnungstür treten. »Du Scheißfotze! Damit kommst du nicht durch! So kannst du mit mir nicht umspringen!«
Da riss sie die Wohnungstür auf und stand in ihrem weißen Kimono vor ihm, sein Blut auf ihrem Messer. »Du weißt gar nicht, was ich alles tun kann!«, sagte sie mit sanfter Stimme.
Nach dieser Nacht konnte sie ihn nirgendwo finden, weder im Virgins oder Barney’s noch auf Partys oder anderen Veranstaltungen. Er ließ seine Schlösser auswechseln. Wir mussten ein Metalllineal benutzen, um sein Fenster zu öffnen. Diesmal legte sie ein Oleanderzweiglein in seine Milch, ein anderes in seine chinesische Oyster Sauce. Sie steckte eines in seinen Hüttenkäse, eines in die Zahnpasta. Sie arrangierte weiße Oleanderzweige in einer mundgeblasenen Glasvase auf seinem Sofatisch und streute Blüten über sein Bett.
Ich war hin- und hergerissen. Er hatte zwar Strafe verdient, doch inzwischen hatte sie eine unsichtbare Grenze überschritten. Das war keine Rache mehr. Sie hatte ihre Rache gehabt, sie hatte gewonnen, doch sie schien es noch nicht einmal zu merken. Jenseits aller Vernunft trieb sie durch absolute Dunkelheit, der nächste Halt war Lichtjahre entfernt. Liebevoll arrangierte sie die dunklen Blätter und weißen Blüten.
Ein Polizist, Inspector Ramirez, stattete uns einen Besuch ab. Er teilte ihr mit, dass Barry sie des Einbruchs und der versuchten Vergiftung bezichtigte. Sie blieb vollkommen ruhig. »Barry ist furchtbar wütend auf mich«, sagte sie, während sie mit verschränkten Armen im Türrahmen posierte. »Ich habe unsere Beziehung vor ein paar Wochen beendet, aber er kann das einfach nicht akzeptieren. Er ist wie besessen von mir. Er hat sogar versucht, in mein Apartment einzubrechen. Das hier ist meine Tochter Astrid, sie kann Ihnen genau erzählen, was passiert ist.«
Ich zuckte mit den Schultern. Das gefiel mir nicht. Es ging einfach zu weit.
Wie am
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