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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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perlten ihr über das Gesicht, und das Haar umgab ihren Kopf wie Quallententakel. »Hass dagegen – mit Hass kann man wirklich etwas anfangen. Kann ihn formen, ihn einsetzen. Er ist hart oder weich, ganz wie du ihn brauchst. Liebe erniedrigt dich, Hass dagegen umhegt dich. Er ist so wohltuend. Ich fühle mich jetzt unendlich viel besser.«
    »Das freut mich«, sagte ich. Ich war froh, dass sie sich besser fühlte, doch mir gefiel dieses neue Glück nicht. Ich glaubte nicht daran und war überzeugt, dass es früher oder später aufbrechen würde und schreckliche Dinge zum Vorschein kämen.
    Wir fuhren runter nach Tijuana, doch kauften wir weder Keramiktöpfe noch Papierblumen, Ohrringe oder Taschen. Stattdessen schaute sie andauernd auf den Zettel in ihrer Hand, während wir durch die Seitenstraßen liefen, vorbei an Eseln mit Zebra-Bemalung und winzigen Indiofrauen, die mit ihren Kindern bettelten. Ich schenkte ihnen mein ganzes Kleingeld und kaute das muffig schmeckende Kaugummi, das sie mir dafür gaben. Sie nahm gar keine Notiz davon. Schließlich fand sie, wonach sie gesucht hatte: eine Apotheke, genau wie die Apotheken in L. A., hell erleuchtet, mit einem Apotheker, der einen weißen Kittel trug.
    »¿Por favor, tiene usted DMSO?« fragte sie.
    »Haben Sie Arthritis?«, erkundigte er sich in mühelosem Englisch.
    »Ja«, erwiderte sie. »Leider. Ein Bekannter hat mir erzählt, dass Sie das Medikament führen.«
    »Welche Größe hätten Sie denn gern?« Er holte drei Flaschen hervor, eine so groß wie ein Fläschchen Vanillearoma, eine in der Größe von Nagellackentferner, die größte entsprach etwa einer Essigflasche. Sie entschied sich für die große Flasche.
    »Wie viel macht das?«
    »Achtzig Dollar, Miss.«
    »Achtzig.« Meine Mutter zögerte. Achtzig Dollar, das war Lebensmittelgeld für zwei Wochen oder zwei Monate Benzin für das Auto. Was konnte achtzig Dollar wert sein, für das wir extra bis nach Tijuana fuhren?
    »Komm, lass uns gehen«, sagte ich. »Wir steigen einfach ins Auto und fahren weiter. Wir könnten nach La Paz fahren.«
    Sie schaute mich verwirrt an. Ich hatte sie aus dem Konzept gebracht. Deshalb redete ich weiter und hoffte, dass ich uns vielleicht wieder auf vertrauten Boden zurückführen könnte. »Wir könnten morgen die erste Fähre nehmen. Können wir das nicht einfach machen? Nach Jalisco fahren. Nach San Miguel de Allende. Wir könnten unsere Konten auflösen, das Geld an American Express schicken lassen und einfach immer weiterreisen.«
    Es könnte so einfach sein. Sie kannte alle Tankstellen von hier bis runter nach Panama, die billigen Grand Hotels mit den hohen Zimmerdecken und geschnitzten Bettrahmen, nur ein paar Schritte von den Plazas entfernt. Innerhalb von drei Tagen könnten wir tausend Meilen zwischen uns und diese verhängnisvolle Flasche bringen. »Es hat dir doch immer gefallen dort unten. Du wolltest nie in die Staaten zurück.«
    Einen Moment lang hatte ich ihre Aufmerksamkeit gefesselt. Ich wusste, sie dachte an die Jahre, die wir in Mexiko verbracht hatten, an ihre Liebhaber, an die Farbe des Meeres. Doch meine Beschwörungskünste waren nicht stark genug; ich konnte nicht so gut Worte spinnen wie sie, nicht gut genug, und das Bild verblich und machte wieder ihrer Besessenheit Platz: Barry und die Blondine, Barry und die Rothaarige, Barry in seinem Seersucker-Bademantel.
    »Zu spät«, sagte sie. Sie zog ihre Brieftasche hervor und legte vier Zwanziger auf den Ladentisch.
    Sie fing an, nachts in der Küche seltsame Dinge zu kochen. Sie brühte Oleander mit kochendem Wasser auf, dazu gab sie die Wurzeln einer Kletterpflanze mit weißen, trompetenartigen Blüten, die wie Gesichter leuchteten. Sie ließ eine Pflanze mit kleinen herzförmigen Blüten quellen, die sie bei Mondlicht am Zaun des Nachbarhauses gesammelt hatte. Dann kochte sie das Pflanzenwasser ein, die ganze Küche roch nach Grünzeug und verfaulenden Blättern. Sie warf das spinatgrüne Zeug pfundweise in eine fremde Mülltonne. Mit mir sprach sie nicht mehr. Sie saß auf dem Dach und redete mit dem Mond.
    »Was ist DMSO ?«, fragte ich Michael eines Abends, nachdem sie ausgegangen war. Er trank Scotch, echten Johnnie Walker, um seinen neuen Job zu feiern: Er hatte ein Angebot bekommen, bei einer »Macbeth«-Inszenierung im Music Center mitzuspielen, obwohl er den Titel nicht aussprechen wollte, weil es angeblich Unglück brachte, mit dem ganzen Hexen- und Zauberkram. Man sollte es nur »Das

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