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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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rosigen Bauch. »Klar. Vielleicht hast du dir sogar vorgestellt, wie du es machen würdest. Aber du hast es nicht getan. Das ist ein Riesenunterschied.«
    Eine Spottdrossel sang in der Yuccapalme des Nachbarn, ein Überlaufen flüssiger Töne.
    »Vielleicht ist der Unterschied gar nicht so groß«, sagte Julie. »Manche Menschen sind bloß impulsiver als andere.«
    Ich schlug mit der Zeitschrift gegen das Hosenbein meiner Jeans. Sie würden sie schon irgendwie rechtfertigen. Die Göttin Schönheit verteidigen, egal wie. Sie sind bereit, mir alles zu vergeben. » Hört mal, danke fürs Kommen, aber ich muss jetzt wirklich rein.«
    »Ich habe meine Telefonnummer hinten auf die Zeitschrift geschrieben«, sagte Hannah, während sie sich erhob. »Ruf an, wenn du …, du weißt schon … Wenn du willst.«
    Ihre neuen Kinder. Ich stand auf der vorderen Veranda und sah, wie sie zu ihrem Auto zurückgingen. Julie fuhr. Es war ein grüner Oldsmobile-Kombi, ein richtiges altes Schätzchen, so groß, dass er sogar Dachscheinwerfer hatte. Er machte ein klingelndes Geräusch, während sie wegfuhren. Ich nahm die Zeitschrift und warf sie in den Müll. Sie versuchte, die Leute mit ihren Lügen zu täuschen wie eine alternde Salome, die sich hinter ihren Schleiern versteckte. Ich hätte ihren Kindern das ein oder andere über meine Mutter erzählen können. Ich hätte ihnen erzählen können, dass sie niemals die Frau hinter diesem schimmernden Tuch finden würden, das nach Moder und Veilchen roch. Darunter kamen immer weitere Schleier. Sie würden sie wegzerren müssen wie Spinnweben, wild und heftig, und immer mehr würden darunter hervorkommen, genauso schnell, wie sie sie wegzogen. Schließlich würde sie sie in ihre Seide einspinnen wie Fliegen, um sie in aller Ruhe zu verdauen, und ihr Gesicht wieder umhüllen, ein Mond in einer Wolke.

28

    Niki riss ein quadratisches Stückchen von dem Acid ab und legte es mir auf die Zunge, dann nahm sie sich ein Stück. Es kam in kleinen Papierblättchen, die mit rosa Flamingos auf Motorrädern bedruckt waren. Wir saßen auf der Veranda, im Blick das Autowrack des alten Riviera, das der Nachbar auf Holzblöcke aufgebockt hatte. Die Luft heizte sich wieder auf, sie war dunstig, lauwarm wie Badewasser, feucht wie eine nasse Socke. Ich spürte überhaupt nichts. »Vielleicht sollten wir noch eins nehmen.« Wenn ich es schon machte, dann wollte ich wenigstens sicher gehen, dass ich auch richtig abhob. Yvonne hielt uns für verrückt, solchen Unfug mit unseren Köpfen anzustellen, doch ich war jetzt gerade verrückt genug. Susan D. Valeris hatte mich schon dreimal angerufen. Ich ging inzwischen nicht mehr ans Telefon und sagte Rena, sie solle aufhängen, wenn jemand nach mir fragte.
    »Es dauert ein bisschen«, meinte Niki. »Du merkst schon, wenn es so weit ist. Glaub mir, das wirst du nicht verschlafen.«
    Beinahe eine Stunde lang passierte gar nichts; ich war mir schon sicher, dass der Stoff nichts taugte, doch dann ging es mit einem Mal los wie ein Fahrstuhl. Niki lachte und winkte mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herum, wobei ihre Finger einen Schweif hinter sich herzogen. »Na, high genug?«
    Meine Haut fühlte sich heiß an und juckte, als hätte ich Ausschlag bekommen, sah aber genauso aus wie vorher. Der Himmel jedoch hatte sich plötzlich verändert. Er war wie leergefegt. Leer wie ein blindes Auge, ein riesiger weißer Augapfel. Mir wurde bange unter diesem schrecklich leeren Himmel. Es war, als sei Gott plötzlich senil und blind geworden. Vielleicht wollte er nicht mehr sehen. Das würde Sinn machen. Um uns herum war alles so wie immer – nur dass es unerträglich war. Ich hatte immer versucht, nicht daran zu denken, wie hässlich es hier war. Ich hatte versucht, die eine schöne Sache zu finden.
    Doch auf dieser Droge konnte ich meine Augen nicht mehr verschließen, mich nicht mehr auf etwas anderes konzentrieren. Es war erschreckend. Ich war überwältigt von der Hässlichkeit, dem Schmutz, dem Abfall, der hier wuchs wie in einem Garten der Hölle: die zersplitterte Holzstufe, die vier Autoleichen, die auf dem unkrautüberwucherten Nachbargrundstück vor sich hin rosteten, der eiserne Zaun des Requisitenverleihs mit seinem Aufsatz aus Stacheldraht, die Glasscherben auf der Straße. Mir kam der Gedanke, dass wir im Bodensatz von Los Angeles lebten, ganz unten; dort, wo die Leute gestohlene Autos abstellten und in Brand steckten. Der Ort, an dem alles Treibgut liegen blieb. Mir

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