Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
Vom Netzwerk:
sagte Niki, verschränkte ihre Finger und schnipste sie dann weit auseinander. Die lebhaften Kirschenstiele schnellten heraus wie Knallfrösche.
    »Deine Augen wollen es normal erscheinen lassen, aber es funktioniert nicht«, sagte ich.
    Ich stellte mir vor, das Bild zu malen; ich konnte genau sehen, in welcher Reihenfolge er was gemacht hatte.
    Der Eulenmann schlich sich heran und zog die Schultern hoch. »Nicht berühren.«
    »Yoda«, sagte Niki gepresst, und wir gingen weiter zum nächsten Bild.
    Ich hatte das Gefühl, dass ich alle diese Bilder selbst hätte malen können. Das Acid kam immer stärker und stärker; ich hatte keine Ahnung, wie high ich noch werden konnte. Es war ganz und gar nicht wie das Percodan – keine bedröhnte, stupide Flucht. Das hier war viel höher als high. Zweihundertstes Stockwerk, fünfhundertstes Stockwerk. Van Goghs Sternenhimmel.
    Wir gingen in die Cafeteria des Museums, um etwas zu trinken zu holen. Ich wusste ganz genau, wo ich war, in dem gleichen Gebäude, in dem auch das Auditorium war und ein Stockwerk tiefer mein altes Klassenzimmer. Mein ganz persönlicher Spielplatz. Ich war ganz fasziniert vom Getränkeautomaten und spielte den Auftakt des »Dornröschen«-Walzers auf den verschiedenen Softdrink-Tasten. »Was ist das für eine Melodie?«, fragte ich sie.
    »Bleib cool«, sagte Niki.
    Ich versuchte, cool zu bleiben, aber es war einfach zu komisch. Als wir an der Reihe waren zu bezahlen, konnte ich mich nicht mehr erinnern, wie das mit dem Geld funktionierte. Die Kassiererin sah aus wie ein Wackelpudding. Sie schaute uns nicht an. Sie sagte ein paar Zahlen, und ich zog mein Geld heraus, wusste aber nicht, was ich damit anfangen sollte. Ich hielt es ihr auf der geöffneten Handfläche hin und ließ sie die richtige Summe nehmen. »Danke, Chorisho, Guten Tag, Arigato«, sagte ich. »Dar es Salaam.« In der Hoffnung, dass sie uns vielleicht für Ausländer hielt.
    »Dar es Salaam«, sagte Niki, als wir uns auf die Plaza setzten.
    Genau so hätte ich als Kind sein sollen, fröhlich, so leicht wie ein Luftballon. Niki und ich setzten uns in den Schatten und tranken aus unseren Pappbechern, betrachteten die vorbeigehenden Leute und bemerkten, wie sehr sie bestimmten Tieren ähnelten. Es gab ein Gnu, einen Löwen und einen Sekretärvogel. Einen Tapir und ein lockiges Yak. Wann hatte ich früher je so gelacht?
    Nachdem wir fertig waren, sagte Niki, wir sollten auf die Toilette gehen.
    »Ich muss aber gar nicht«, sagte ich.
    »Du wirst es erst merken, wenn es zu spät ist«, sagte Niki. »Komm mit.«
    Wir gingen zurück ins Museum und fanden die Türen mit den lächerlichen Strichmännchen in Hose oder Rock. Lächerlich, wie wir männlich und weiblich sahen – als Hose oder Rock. Plötzlich kamen mir das ganze sexuelle Universum und seine Konventionen fantastisch vor, gekünstelt.
    »Schau nicht in den Spiegel«, sagte Niki. »Schau auf deine Schuhe.«
    Der Raum war dunkelgrau gefliest, schlecht beleuchtet, der Boden dreckig. Ich spürte die Angst wiederkehren. Ein metallischer Geschmack in meinem Mund. Eine ältere Dame in braunem Hosenanzug, braun gebrannt, mit braunem Haar, braunen Schuhen und einem gelben Gürtel kam aus einer der Kabinen und starrte uns an. »Sie sieht aus wie ein gegrilltes Käsebrot«, stellte ich fest.
    »Meine Freundin ist krank«, sagte Niki, mühsam das Lachen unterdrückend. Sie schob mich in die Behindertentoilette und schloss die Tür hinter uns. Sie musste meine Hose aufmachen und mich auf den Topf setzen wie ein zweijähriges Mädchen. Ich konnte nicht Pipi machen, es war einfach zu lustig.
    »Halt die Klappe und mach!«, sagte Niki.
    Ich ließ die Beine hin und her schwingen. Ich hatte wirklich das Gefühl, wieder zwei Jahre alt zu sein. »Mach Pipi für Annie«, sagte ich. Und dann ließ ich es laufen. Ich musste nämlich tatsächlich. Das plätschernde Geräusch brachte mich zum Lachen. »Ich hab dich lieb, Niki«, sagte ich.
    »Ich hab dich auch lieb«, sagte sie.
    Doch auf dem Weg nach draußen fiel mein Blick auf mein Spiegelbild. Ich war sehr rot im Gesicht, meine Augen schwarz wie die einer Elster, das Haar zerzaust. Ich sah barbarisch aus. Es erschreckte mich. Niki trieb mich schnell hinaus.
    Wir waren im Flügel für zeitgenössische Kunst. Früher war ich nie dorthin gegangen. Als ich noch zusammen mit meiner Mutter hierherkam, blieb sie immer mit mir vor einem Rothko stehen, einem blau-roten Quadrat, und erklärte es mir stundenlang.

Weitere Kostenlose Bücher