Weisser Oleander
über den Gartenzaun beobachteten, schauderten. Man konnte die Umrisse ihrer Brustwarzen durch den gestrickten Stoff sehen. Sie lächelte vor sich hin.
Das gefiel ihr: wenn sich ein paar Klempnerschweine an ihr aufgeilten. Ein gutes Geschäft, eine Russische Margarita, ein Quickie mit Sergej im Badezimmer – weiter blickte sie nicht in die Zukunft. Ich bewunderte ihr Vertrauen. Hautkrebs, Lungenkrebs, Männer, Möbel, Schrott – irgendwas würde ihr schon über den Weg laufen. Es tat mir im Augenblick gut, in ihrer Nähe zu sein. Ich konnte es mir nicht leisten, allzu viel über die Zukunft nachzudenken.
Ich hatte nur noch zwei Monate bis zu meinem Schulabschluss – und dann erwartete mich ein kurzer Fall über den Rand der Welt. Nachts träumte ich von meiner Mutter; immer ging sie gerade weg. Ich träumte, dass ich eine Mitfahrgelegenheit nach New York zur Kunstschule verpasste, eine Einladung zu einer Party mit Paul Trout verlor. Ich blieb auf und blätterte den Stapel zwölf Jahre alter ArtNews-Zeitschriften durch, die ich im Sperrmüll gefunden hatte, betrachtete die Fotos der Künstlerinnen, ihr zerzaustes Haar, grau, lang und braun, dünne blonde Fäden. Amy Ayres, Sandal McInnes, Nicolette Reis. Ich wäre gern wie sie gewesen. Amy mit ihrem grauen Lockenkopf und dem zerknitterten T-Shirt, die vor einem ihrer riesigen abstrakten Gemälde mit gekrümmten Kegeln und Zylindern stand. Amy, wie kann ich du sein? Ich habe deinen Artikel gelesen, aber ich kann die Lösung nicht finden. Deine Mittelklasse-Eltern, dein kranker Vater. Dein Kunstlehrer auf der High School hat extra ein Stipendium für dich geschaffen. Auf der Marshall High hatte ich noch nicht mal Kunstunterricht.
Ich betrachtete meine Zeichnung von Rena, die mit Wasserspritzern aus dem Rasensprenger besprenkelt war. Ehrlich gesagt mochte ich Zeichnungen noch nicht mal. Wenn ich ins Museum ging, schaute ich mir die Gemälde an, die Skulpturen, alles, nur nicht Linien auf Papier. Es war nur so, dass meine Hand etwas tun musste, meine Augen einen Grund brauchten, den leeren Raum zwischen Rena, dem Rasensprenger und dem wackligen Gartentisch aus weißlackiertem Lochblech zu füllen, auf dem ein Glas und ein Aschenbecher standen. Mir gefiel, wie die Tischplatte mit ihren diamantförmigen Löchern die schwarzen Diamanten von Renas Bikini und das Diamantgitter des Maschendrahtzauns wiederholte; wie die Wölbung des Glases der Wölbung ihres Oberschenkels entsprach, dem gewölbten Arm, den einer der Handwerker über den Zaun gelegt hatte, und den Blättern der Bananenpflanze vor dem Haus der Casados auf der anderen Straßenseite.
Wenn ich nicht zeichnete, welchen Grund gäbe es dann für das Licht, so und nicht anders auf die welligen Dachschindeln der Casados zu fallen, auf die Grasbüschel und die zarten Flechten des Fuchsschwanzgrases, die bald braun wurden? Welchen Grund für die Art und Weise, in der der Himmel alles flach auf die Erde zu quetschen schien wie ein gewaltiger Fuß? Ich würde schwanger werden oder trinken müssen, um all das auszublenden; alles bis auf mich, ganz groß im Vordergrund.
Zum Glück war ich nicht in den Kursen, in denen man über das College sprach. Ich war in den Kursen, wo man uns etwas über Kondome erzählte und darüber, dass es verboten sei, Waffen mit in die Schule zu bringen. Claire hatte mich für all die freiwilligen Leistungskurse angemeldet, doch ich konnte nicht mehr mithalten. Wenn sie noch lebte, hätte ich es versucht; die Kurse weiter besucht, mich um ein Stipendium bemüht – dann hätte ich auch gewusst, was zu tun wäre. Nun entglitt mir das alles.
Andererseits ging ich noch immer zur Schule, machte meine Hausaufgaben, schrieb die Prüfungen mit. Ich würde den Schulabschluss machen, was immer danach kommen mochte. Niki hielt mich für bescheuert. Wer würde eines Tages noch wissen, ob ich die Schule zu Ende gebracht hatte oder nicht, wen würde es überhaupt interessieren? Doch es gab mir wenigstens noch etwas zu tun. Ich ging hin und zeichnete die Stuhlbeine, die aussahen wie die Beine von Wasserläufern. Ich konnte eine Stunde damit verbringen, in übertriebener Perspektive die Tische zu zeichnen; wie sie immer kleiner wurden, je näher sie der Tafel kamen; die Hinterköpfe, Nacken, Haare. Yolanda Collins saß im Mathekurs vor mir; ich konnte die ganze Stunde lang ihren Hinterkopf betrachten, die verschiedenen Ebenen winziger Zöpfchen, die sie in Mustern so kompliziert wie Perserteppiche
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