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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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von uns wird ein bisschen weiter kommen; eine geregelte Arbeit, ein Urlaub auf Hawaii oder ein Umzug nach Phoenix, Arizona. Doch wie viele von uns tausendfünfhundert Absolventen werden etwas wirklich Wertvolles tun, ein Theaterstück schreiben, ein Bild malen, das eines Tages in einem Museum hängen wird, ein Mittel gegen Herpes finden? Zwei von uns, vielleicht drei? Und wie viele werden die wahre Liebe finden? Ungefähr genauso viele. Und Erleuchtung? Vielleicht einer. Der Rest von uns wird Kompromisse eingehen, Entschuldigungen finden, irgendjemandem oder irgendetwas die Schuld daran geben, und diese Ausreden werden wir vor uns hertragen wie Anhänger an einer Kette.
    Ich weinte. Ich wusste, ich hätte besser abschneiden können; ich hätte Vorbereitungen treffen können, ich hätte weiter Kurse belegen können; jemanden finden können, der mir geholfen hätte. In diesem Augenblick nahmen meine Klassenkameraden ihre Preise entgegen, gewannen National-Merit-Stipendien oder wurden als Abgeordnete für das Junior State Government nominiert. Wie hatte ich mich so verlieren können? Mutter, warum hast du im Bus meine Hand losgelassen, die Arme voller Päckchen? Es kam mir vor, als sei die Zeit ein großes Meer, über das ich auf dem Rücken einer Schildkröte dahintrieb – und am Horizont war weit und breit kein Segel zu sehen.
    »Es ist irgendwie komisch, weißt du«, sagte Yvonne. »Ich war mir so sicher, dass ich dich nicht mögen würde. Als du ankamst, dachte ich: die Gringa hat uns grade noch gefehlt, hört sie euch bloß an, für wen hält sie sich eigentlich, Prinzessin Diana? Das hab ich auch zu Niki gesagt. Die hat uns grade noch gefehlt, Mädchen. Doch es war tatsächlich so, weißt du: Du hast uns gefehlt, wir haben dich gebraucht.«
    Ich drückte ihre Hand. Ich hatte Yvonne, ich hatte Niki. Ich hatte diesen Raphael-Himmel. Ich hatte fünfhundert Dollar und den Aquamarin einer toten Frau und eine Zukunft in der Müllverwertung. Was konnte sich ein Mädchen mehr wünschen?
    In diesem Sommer verscheuerten wir unseren Trödel auf Flohmärkten von Ontario bis Santa Fe Springs. Rena hatte irgendwo preiswert Klebefolie mit Zebramuster ergattert, mit der ich Barhocker, Badezimmerwaagen und Schuhschränke beklebte. Für die flotten Senioren verzierte ich den Krankenhaus-Nachtstuhl und den Gehwagen mit Zebrastreifen. Die Katzen versteckten sich.
    »Auslage«, das war Renas neuestes Schlagwort. »Wir müssen haben Auslage.«
    Unsere Esszimmergarnitur war schon weggegangen, gestreift und lackiert. Sie hatte vierhundert Dollar dafür bekommen und mir hundert gegeben. Sie sagte, ich könne so lange bei ihr wohnen, wie ich wolle; wie Niki könne ich Kost und Logis bezahlen. Sie meinte es als Kompliment, doch es jagte mir einen Todesschrecken ein.
    Beim Trödelmarkt auf der Fairfax High School hatten wir eine blaue Plastikfolie über unseren Stand gespannt, sodass die Damen daruntertreten und sich unsere Kleider anschauen konnten, ohne einen Sonnenstich zu bekommen. Sie kamen mir vor wie Fische, die ein Riff abknabberten, während wir, die Muränen, geduldig darauf warteten, dass sie sich näherten.
    »Benito will, dass ich zu ihm ziehe«, sagte Yvonne, als Rena gerade mit einer Kundin beschäftigt war, einen Hut auf ihrem Kopf zurechtrückte und ihr erzählte, wie großartig sie darin aussah.
    »Das wirst du doch wohl nicht«, sagte Niki.
    Yvonne lächelte verträumt.
    Sie war wieder einmal verliebt. Ich sah keinen Grund, ihr abzuraten. In letzter Zeit hatte ich es aufgegeben, verstehen zu wollen, was richtig oder falsch war, was von Bedeutung war und was nicht. »Er scheint doch ganz nett zu sein«, meinte ich.
    »Wie viele Leute laden dich schon ein, ihr Leben mit ihnen zu teilen?«, fragte Yvonne.
    »Die Typen, die sich einen regelmäßigen Fick sichern wollen«, sagte Niki. »Frische Wäsche und sauberes Geschirr.«
    Ich teilte mir einen Becher Russian Sports Mix mit Yvonne, ein schwaches Gebräu aus Wodka und Gatorade, das Rena den ganzen Tag über trank.
    Rena schleppte eine sonnenverbrannte Frau an unseren Stand, um mich ihr vorzustellen, und schwang den gestreiften Hartschalenkoffer auf den Tapetentisch.
    »Das ist unsere Künstlerin«, sagte Rena, während sie sich eine ihrer schwarzen Sobranies anzündete. »Astrid Magnussen. Sie müssen erinnern Namen. Eines Tages diese Koffer wird sein wert Millionen.«
    Die Frau lächelte und schüttelte mir die Hand. Ich versuchte, ihr möglichst nicht das Sports Mix ins

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