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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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Gesicht zu atmen. Rena reichte mir mit schwungvoller Gebärde einen wasserfesten Filzschreiber, und ich setzte meine Unterschrift an die Unterkante des Koffers. Wenn man mit Rena zusammen war, war es manchmal, als ob man Acid nahm. Die Künstlerin. In dem Buch über Buddhismus, das ich im Sperrmüll gefunden hatte, stand, dass man einzig und allein dadurch einen gerechten Lebenswandel erreicht, indem man das, was man macht, gut macht, indem man seinen Sinn ganz auf eine nahe liegende Aufgabe richtet. Ich betrachtete die Zebra-Bar und die Barhocker, den Koffer, der mit der sonnenverbrannten Frau verschwand. Die Sachen sahen gut aus. Es machte mir Spaß, sie anzufertigen. Vielleicht war es ja gut genug, wenn ich das mein ganzes Leben lang machte?
    Die Buddhisten glauben, dass es keine Rolle spielt, ob es sich um Klebefolie oder Zen-Kalligraphie, Neurochirurgie oder Literatur handelt. Im Tao sind all diese Dinge von gleichem Wert, wenn sie im gleichen Geist getan werden.
    »Faule Mädchen«, sagte Rena. »Ihr müsst sprechen mit Kunde. Verkauf machen.«
    Sie erspähte einen jungen Mann in Shorts und Top-Sider-Bootsschuhen, der sich die Barhocker anschaute, schaltete ihr Lächeln ein und zog los, um ihn zu ködern. Diese Typen mit den teuren Bootsschuhen konnte sie schon aus zwanzig Metern Entfernung ausmachen.
    Niki trank ihren Becher mit dem Gatorade-Cocktail aus, schnitt eine Grimasse und schenkte sich etwas nach, solange Rena noch beschäftigt war. »Was wir nicht alles machen, um high zu werden.«
    »Wann willst du denn ausziehen?«, fragte ich Yvonne.
    »Morgen«, flüsterte sie, halb hinter ihrem Vorhang aus weichem Haar versteckt.
    Ich strich ihr das Haar aus dem Gesicht, schob es hinter ihr kleines, zigfach gepierctes Ohr. Sie blickte zu mir hoch und lächelte, und ich umarmte sie. Sie brach in Tränen aus. »Ich weiß nicht, Astrid. Meinst du, ich sollte? Du weißt doch immer, was zu tun ist.«
    Ich lachte, völlig überrascht von dieser Bemerkung. Ich hockte mich neben den klapprigen Regiestuhl, auf dem sie saß. »Ich? Ich weiß weniger als nichts!«
    »Ich dachte immer, du lügst nicht«, sagte sie lächelnd und hielt sich dabei die Hand vor den Mund, eine Angewohnheit, um ihre schlechten Zähne zu verstecken. Vielleicht würde Benito sie ja heiraten. Vielleicht würde er mit ihr zum Zahnarzt gehen. Vielleicht würde er sie nachts umarmen und sie lieben. Wer wollte schon sagen, ob er das tat oder nicht?
    »Ich werde dich vermissen«, sagte ich.
    Sie nickte, konnte aber erst nicht sprechen, weil sie gleichzeitig weinte und lächelte. »Gott, ich muss ja schrecklich aussehen.« Sie rieb sich das Mascara weg, das ihr über die Wangen lief.
    »Du siehst aus wie Miss America«, sagte ich und umarmte sie. So etwas sagten Frauen nun mal. »Du weißt schon, wenn sie ihr die Krone aufsetzen und sie weint und lacht und über den Laufsteg schreitet.«
    Darüber musste sie lachen. Sie mochte die Miss-America-Wahl. Wir sahen uns die Übertragung im Fernsehen an, kifften, und sie nahm ein paar von Renas staubigen Seidenblumen, stolzierte im Wohnzimmer auf und ab und winkte das mechanische Winken der Schönheitskönigin.
    »Wenn wir heiraten, musst du Brautjungfer werden«, sagte sie.
    Ich konnte die Hochzeitstorte in ihren Augen sehen, die kleine Braut und den Bräutigam darauf, ein Zuckerguss wie Spitze, etliche Schichten, und ein Kleid wie die Torte, ein Auto mit weißer Blumendekoration, und alle hupten, während sie davonfuhren.
    »Ich werde kommen«, sagte ich. Und stellte mir die Hochzeitsfeier vor, keiner älter als achtzehn, und alle meinten, ihr Leben werde so verlaufen wie ein Schlagertext. Der Gedanke machte mich traurig.
    »Du wirst schon wieder mit deinem Freund zusammenkommen«, sagte sie, als wolle sie den harten Schlag abmildern. »Mach dir keine Sorgen. Er wird auf dich warten.«
    »Klar«, erwiderte ich. Doch ich wusste, dass niemand auf irgendjemanden wartete.
    Am nächsten Abend packte Yvonne ein paar Kleider ein, ihr Papp-Pferd und ihr Radio, doch das Foto des Fernsehstars ließ sie in seinem Rahmen auf der Kommode stehen. Rena gab ihr etwas Geld, zusammengerollt in einem Gummiband. Wir warteten alle mit ihr auf der vorderen Veranda, bis Benito in seinem grau gespachtelten Cutlass vorfuhr. Dann war sie fort.

31

    Anfang August lag die Stadt wie gelähmt da, stumpfsinnig betäubt von der Hitze. Die Bürgersteige schrumpften in der Sonne. Die Landschaft hatte sich völlig ergeben. Die Luft war

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