Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
Vom Netzwerk:
während sie mir den Arm auf den Rücken dreht, mein Gesicht in die raue Rosshaardecke herunterzwingt und mir in den Nacken beißt. »Sag, dass du mich liebst, du kleine Nutte.«
    Liebe ist ein Spielzeug, ein Unterpfand, ein parfümiertes Taschentuch.
    »Sag mir, dass du mich liebst«, hat Barry gesagt.
    »Ich liebe dich«, sagte ich. »Ich liebe dich, ich liebe dich.« Liebe ist ein Scheck, den man fälschen kann. Liebe ist eine fällige Zahlung.
    Lydia liegt seitlich auf meiner Pritsche, die Wölbung ihrer Hüfte ein Wellenkamm in flachem Wasser, türkis, Playa del Carmen, Martinique. Sie blättert ein neues Celebridades-Magazin durch. Ich habe ihr ein Abonnement besorgt. Sie behauptet, sie habe dadurch das Gefühl, im Leben zu stehen. Ich kann mir nicht vorstellen, mich von Filmen begeistern zu lassen, die ich doch nicht sehen werde; politische Ereignisse bewegen mich nicht mehr, in der tiefen Gefängnisstille bedeuten sie nichts.
    Die Zeit hat für mich eine vollkommen andere Bedeutung gewonnen. Welchen Unterschied macht schon ein Jahr? Auf eine perverse Art und Weise bedaure ich die Frauen, die immer noch an der Zeit teilhaben, in ihr gefangen sind; wie viele Monate noch, wie viele Tage. Ich habe mich gelöst; ich bewege mich frei durch die Jahrhunderte. Schriftsteller schicken mir Bücher – Joseph Brodsky, Marianne Moore, Pound. Ich denke, ich werde vielleicht Chinesisch studieren.
    »Bist du schon mal in Guanajuato gewesen?«, fragt Lydia. »All die großen Stars fahren jetzt dahin.«
    Guanajuato, Astrid. Erinnerst du dich noch? Ich weiß, dass du dich erinnern kannst. Wir sind mit Alejandro, dem Maler, dorthin gefahren, zu unterscheiden von Alejandro, dem Dichter. Aus San Miguel. Mein Spanisch reichte nicht aus, um die Qualität der Werke des Dichters zu beurteilen, doch Alejandro, der Maler, war in der Tat sehr schlecht. Er hätte überhaupt keine Kunst schaffen sollen. Er hätte sich besser einfach auf einen Hocker gesetzt und Geld für einen Blick auf sein gutes Aussehen verlangt. Und so schüchtern war er; er brachte es immer erst fertig, mir in die Augen zu schauen, wenn er zu Ende geredet hatte. Stattdessen sprach er zu meiner Hand, zum Spann meines Fußes, zur Krümmung meiner Wade. Erst wenn er aufgehört hatte, konnte er mir in die Augen sehen. Er zitterte, wenn er mich liebte, ein schwacher Duft nach Geranien. Doch wenn er mit dir zusammen war, war er nie schüchtern, oder? Ihr hattet so lange Unterhaltungen, die Köpfe verschwörerisch zusammengesteckt. Ich fühlte mich ausgeschlossen. Er war es, der dir das Zeichnen beigebracht hat. Er zeichnete etwas für dich, und dann hast du es nachgezeichnet. La Mesa, la botilla, las mujeres. Ich habe versucht, dir Lyrik nahe zu bringen, aber Du warst immer so halsstarrig. Wieso wolltest du bloß nie etwas von mir lernen?
    Ich wünschte, wir hätten Guanajuato nie verlassen.
    Mutter.
    Alejandro, der Maler. Die Linie, die aus seinen Fingern floss, die Bewegungen seines Arms. War er ein schlechter Maler gewesen? Der Gedanke war mir nie gekommen, genauso wenig wie der Gedanke, dass sie sich womöglich ausgeschlossen fühlte. In Guanajuato war sie sehr schön gewesen, sie hatte ein weißes Kleid getragen, und die Gebäude waren ocker und gelb, sie trug kreuzweise geschnürte Sandalen wie die Römer. Ich fuhr mit dem Finger an den weißen X entlang, wenn sie sie auszog.
    Das Hotel mit den Fliegengittern und Holzschnitzereien an der Tür, die Zimmer offen zur gekachelten Galerie. Man konnte alles hören, was gesprochen wurde. Wenn sie einen Joint rauchte, musste sie den Rauch durch die Balkontüren nach draußen pusten. Es war ein seltsames Zimmer, ockerfarben, höher als es breit war. Ihr gefiel es, sie sagte, es lasse ihr Raum zum Denken. Und in der Straße darunter spielten die Mariachi-Gruppen um die Wette; jede Nacht konnten wir aus unseren Betten unter den Moskitonetzen ihre Konzerte hören.
    »Nun?«, fragte Rena. »Kommt sie raus?«
    »Nein«, sagte ich.
    In seinem Citroën, der nur so groß war wie ein Spielzeugauto, fuhren wir nach San Miguel de Allende, sein Hemd sehr weiß vor seiner Kupferhaut. Gab sie etwa zu, dass sie einen Fehler gemacht hatte? Wenn sie es doch nur zugeben wollte. Gestehe . Dann würde ich vielleicht für sie lügen, mit ihrer Anwältin sprechen, in den Zeugenstand treten und ohne jeden Zweifel beschwören, dass sie nie … Vielleicht kam das einem Eingeständnis ihrer Fehler so nah, wie sie einer Einsicht nur kommen würde.
    Ich

Weitere Kostenlose Bücher