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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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gekauft hat, Æerø, glaube ich.« Als ich um den Baumstamm herumblickte, spielte sie mit ihren Schuhen, hatte die Hände hineingesteckt und lief damit auf und ab. »Sehr malerisch, doch falls seine Frau nichts von Landwirtschaft versteht, bin ich mir sicher, dass sie ihn inzwischen wieder verloren haben.« Sie sah gerade noch rechtzeitig auf, um meinen Blick zu treffen, und lächelte ihr wissendes halbes Lächeln. Nicht das breite, offene Lächeln meines Vaters, sondern das Lächeln, mit dem sie einem zeigte, dass sie Gedanken lesen konnte, wusste, was man dachte. »Wieso? Hast du vor, deinen lange verlorenen Vater und seine Familie heimzusuchen? Wundere dich nicht, wenn sie kein gemästetes Kalb für dich schlachten.«
    »Besser als du mit deinen neuen Kindern«, sagte ich. Die Hitze wellte den Straßenbelag; ich konnte riechen, wie sich der Teer vom Boden löste.
    »Ah«, sagte sie und legte sich wieder auf den Rücken ins Gras, die Hände unter dem Kopf verschränkt, die Beine an den Knöcheln gekreuzt. »Ich hatte ihnen schon gesagt, dass du sie nicht unbedingt mit offenen Armen empfangen würdest. Doch sie sind so rührend besorgt. Idealistisch. Sie wollten es einfach mal bei dir versuchen. Sie waren so stolz auf den Artikel. Hat er dir übrigens gefallen?«
    »Hab ihn weggeschmissen.«
    »Schade.«
    Plötzlich flogen die Krähen in einer Salve aus dem Baum auf, wir hörten ihr raues Gekrächze wie in einem Dopplereffekt davonhallen. Ein Pick-up fuhr auf der Landstraße vorbei, ein Club Cab mit doppelten Hinterrädern, aus dem Ranchero-Musik schallte, absurd in ihrer schmissigen Fröhlichkeit. Wie in Guanajuato, dachte ich und wusste, dass meine Mutter gerade dasselbe dachte.
    Mein T-Shirt saugte keinen Schweiß auf; er floss mir am Bauch herunter und wurde von meinem Rockbündchen aufgesogen. Ich fühlte mich, als wäre ich durchs Wasser gewatet. »Erzähl mir von Annie.«
    »Wieso klammerst du dich so an die Vergangenheit?« Sie setzte sich auf, wand ihr Haar zurück und spießte es mit dem Bleistift fest. Ihre Stimme klang scharf, verärgert. »Was ist die Vergangenheit? Bloß ein Stapel vergammelter Zeitungen in der Garage eines alten Mannes.«
    »Die Vergangenheit dauert immer noch an. Sie hat nie aufgehört. Wer war Annie?«
    Der Wind schüttelte das dichte, glänzende Laubwerk des Ficusbaumes, sonst war es still. Sie fuhr sich mit den Fingern über die Haare, strich sie straff zurück, so als ob sie aus einem Schwimmbecken stieg. »Sie war eine Nachbarin. Sie hat Kinder gehütet, die Wäsche von anderen Leuten gewaschen.«
    Der Geruch nach Wäsche. Der Wäschekorb; ich saß mit anderen Kindern im Wäschekorb, wir spielten Bootfahren. Die kleinen Quadrate. Er war gelb gewesen. Wir flitzten darin über den Küchenboden. »Wie hat sie ausgesehen?«
    »Klein. Geschwätzig.« Sie schirmte die Augen mit einer Hand ab. »Sie hat diese Dr.Scholl-Sandalen getragen.«
    Holzgetrappel auf dem Linoleum. Gelbes Linoleum mit einem bunten Farbklecksmuster. Der Boden war kühl, wenn man seine Wange dagegenlegte. Und ihre Beine. Braun gebrannt. Nackte Beine in abgeschnittenen Jeans. Doch ihr Gesicht konnte ich nicht sehen. »Dunkel oder blond?«
    »Dunkel. Glatte Haare mit einem kurzen Pony.«
    Das Haar bekam ich nicht mehr zusammen. Nur die Beine. Und wie sie den ganzen Tag lang die Lieder aus dem Radio mitsang.
    »Und wo warst du?«
    Meine Mutter schwieg. Sie presste die Hand vor die Augen. »Daran kannst du dich doch unmöglich erinnern?«
    Alles, was sie über mich wusste; alles, was sie in diesem dünnen Schädelkasten herumtrug wie in einer Gruft. Ich hätte am liebsten ihre Schädeldecke aufgebrochen und ihr Gehirn ausgelöffelt wie ein weich gekochtes Ei.
    »Stell dir doch nur mal einen Augenblick lang mein Leben vor«, sagte sie leise und wölbte die Finger wie ein Boot, so als halte sie ihr Leben in einer Muschelschale. »Stell dir vor, wie wenig ich darauf vorbereitet war, die Mutter eines Kleinkindes zu sein. Plötzlich sollte ich den Archetyp der ewig selbstlosen Frau verkörpern. Fremder hätte es kaum sein können. Ich war eine Frau, die daran gewöhnt war, einer Frage oder einer Neigung bis zu ihrem logischen Schluss nachzugehen. Ich war daran gewöhnt, Zeit zum Nachdenken zu haben, war an Freiheit gewöhnt. Ich habe mich gefühlt wie eine Geisel. Kannst du nicht verstehen, wie verzweifelt ich war?«
    Ich hätte sie am liebsten nicht verstanden, doch ich konnte mich noch lebhaft an Caitlin erinnern, wie

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