Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
Vom Netzwerk:
zwei oder drei Jahren wirst du noch eine Mutter brauchen, oder?«
    Sie hielt meine Hand, sie stand einen halben Meter von mir entfernt. Ich starrte sie an. Es kam mir vor, als ob irgendein Außerirdischer durch sie spräche. Was für eine Masche war das jetzt schon wieder?
    »Wer hat denn gesagt, dass du hier herauskommst?«, sagte ich.
    Meine Mutter ließ meine Hand los und trat einen Schritt zurück. Das Aquamarin ihrer Augen verblasste zu einem hellen grünlichen Blau.
    »Ich habe nur gesagt, dass ich mit dir sprechen werde. Es war nicht die Rede davon, dass ich auch aussage. Ich will ein Abkommen mit dir schließen.«
    Nun wurde das grünliche Blau zu Asche.
    »Was für ein Abkommen?«, fragte sie, lehnte sich an eine Säule, die Arme vor ihrem Jeanskleid verschränkt, genau dasselbe Kleid, das sie getragen hatte, als ich sie das letzte Mal gesehen hatte, nur zwei Töne heller.
    »Ein Geschäft«, sagte ich. »Willst du dich hierhin setzen oder unter die Bäume?«
    Sie drehte sich um und führte mich zu ihrem Lieblingsplatz im Besucherhof, unter die Ficusbäume mit den weißen Stämmen, von wo aus man auf die Straße blicken konnte und der Zugangsstation den Rücken zuwandte, dem Platz, der am weitesten vom Wachturm Eins entfernt war. Wir setzten uns auf das trockene, vom Sommer stark lädierte Gras; es schnitt mir in die nackten Beine.
    Sie saß graziös da, die Beine zu einer Seite abgewinkelt, wie ein Mädchen auf einer Wiese. Ich war inzwischen größer als sie, aber nicht so graziös; nicht schön, aber präsent; stabil wie ein Marmorblock, bevor er gemeißelt wird. Ich wandte ihr mein Profil zu. Ich konnte sie nicht ansehen, während ich sprach. Ich war nicht hart genug; ich wusste, dass mich ihre schmerzliche Überraschung aus der Fassung bringen würde.
    »Folgendes Geschäft«, sagte ich. »Es gibt ein paar Dinge, die ich wissen möchte. Du erzählst sie mir, und ich tue, was du von mir willst.«
    Meine Mutter pflückte einen Löwenzahn aus dem Gras und blies die fedrigen Büschel von der Blüte ab. »Oder was?«
    »Oder ich sage die Wahrheit, und du kannst hier drin bleiben, bis du schwarz wirst«, sagte ich.
    Ich hörte das Gras rascheln, während sie ihre Stellung veränderte. Als ich wieder hinsah, lag sie auf dem Rücken und untersuchte den kahlen Löwenzahnstiel. »Susan kann deine Aussage in jeder Hinsicht unglaubwürdig erscheinen lassen.«
    »Du brauchst mich«, erwiderte ich. »Und das weißt du auch. Was immer sie sagen mag.«
    »Übrigens, dein Aussehen gefällt mir ganz und gar nicht«, meinte sie. »Du siehst aus, als kämst du direkt aus einem Sunset Boulevard Motel oder von einer Fünfzehn-Dollar-Nummer aus irgendeinem Auto.«
    »Ich kann so aussehen, wie du es gern hättest«, sagte ich. »Ich kann sogar Kniestrümpfe anziehen, wenn du das willst.« Sie drehte den Löwenzahnstiel zwischen ihren Handflächen hin und her. »Ich bin diejenige, die ihnen erzählen kann, dass Barry paranoid war. Dass er dich verfolgt hat. Ich kann aussagen, dass er damit gedroht hat, sich umzubringen, und es dann so aussehen lassen wollte, als ob du es getan hättest, um dich dafür zu bestrafen, dass du ihn verlassen hast.« Ihre verschwommenen Gesichtszüge hinter dem Drahtglas. »Ich bin diejenige, die weiß, wie fertig du im Sybil-Brand-Gefängnis warst. Als ich dich damals besuchen kam, hast du mich noch nicht mal erkannt.« Es machte mich immer noch ganz krank, daran zu denken.
    »Wenn ich mich dieser Befragung unterziehe.« Sie schnippte den Löwenzahnstiel weg.
    »Ja.«
    Sie streifte ihre Tennisschuhe ab und fuhr mit den Füßen durch das Gras. Dann streckte sie die Beine lang aus und stützte sich auf die Ellbogen, so als ob sie am Strand läge. Sie starrte auf ihre Füße und klopfte mit den Ballen gegeneinander.
    »Du hattest früher immer eine gewisse Zartheit an dir. Eine Transparenz. Du bist schwer geworden, undurchsichtig.«
    »Wer war mein Vater?«, fragte ich.
    »Ein Mann.« Sie betrachtete ihre nackten Zehen und tippte sie aneinander.
    »Klaus Anders, kein Zweitname«, sagte ich, während ich ein Stück Schorf zwischen meinen Fingern abknibbelte. »Maler. Alter: vierzig. Geboren in Kopenhagen, Dänemark. Wie habt ihr euch kennen gelernt?«
    »In Venice Beach.« Sie betrachtete immer noch ihre Füße. »Auf einer dieser Partys, die den ganzen Sommer lang dauern. Er hatte die Drogen dabei.«
    »Ihr habt ausgesehen wie Bruder und Schwester«, sagte ich.
    »Er war viel älter als ich«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher