Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
Vom Netzwerk:
eine ordentliche Summe kommen sollte. Ich hatte vollauf damit zu tun, meinen Honda Accord abzuzahlen und die Miete für mein kleines Apartment hinter dem Chandler Boulevard aufzubringen, genau wie alle anderen auch.«
    »Und der dicke Mann hat Sie vor sich selbst gerettet.« Sie seufzte. »Armer Mr. Fred. Letztes Jahr hatte er einen Herzinfarkt. Sein Bruder hat alles geerbt.« Sie zuckte mit den Schultern. »Aber was soll man auch anderes erwarten bei einem Mann, der immer drei Menüs nacheinander gegessen hat?«
    Ich saß an Marvels Tisch und beobachtete, wie sie aßen. Sie starrten die ganze Zeit auf den Fernseher und hoben ihre Gabeln so automatisch zum Mund wie Aufziehpuppen, völlig gleichgültig, ob Thunfischauflauf oder überbackenes Katzenfutter darauf lag. Ich hatte mit dem Kochen angefangen und Marvel erzählt, ich wolle vielleicht Köchin werden; das sei kein schlechter Job für eine Frau. Ich nahm zu. Meine Rippen standen nicht mehr hervor, sondern verschmolzen mit dem buttrigen Fleisch meines Oberkörpers. Ich bewunderte meine Brüste im Spiegel und wünschte mir, Ray hätte sie so sehen können, sie in seinen verkrüppelten Händen halten können. Ich mochte es, wie mein Körper sich bewegte, wenn ich die Straße entlangging. Marvel schob es auf mein Alter; »fülliger werden« nannte sie es. Doch das war es nicht. Ich hatte mich vorher zu schnell bewegt. Ich war zu hungrig gewesen, um mich in eine Frau zu verwandeln.

13

    Der Hochsommer knallte nieder wie ein Holzhammer. Schon um neun Uhr morgens fürchtete man die Temperaturen, die der Tag noch erreichen würde. Olivia machte mit mir Ausflüge in der Corvette, die Route 101 hoch und dann durch einen der Canyons, Topanga oder Kanan Dume, zum Strand; dann fuhren wir die Küstenstraße entlang, den Wind und die Sonne auf unserer bloßen Haut, und ignorierten die Rufe der Männer aus den anderen Autos. Noch nie zuvor hatte ich mich so schön und so wenig ängstlich gefühlt.
    Manchmal machte sie eine Karaffe Rumpunsch und ließ brasilianische Musik laufen: Milton Nascimento, Gilberto Gil, Jobim. Astrid Gilberto hatte eine interessante flache Stimme, so als läge sie im Halbschlaf in einer Hängematte und sänge einem Kind etwas vor. Wir saßen im Wohnzimmer auf der gestreiften Bettcouch, während sich über uns die Ventilatoren langsam drehten, aßen Mangos mit Schinken und schauten uns Olivias Brasilienfotos an. Sie sprach die Namen der Städte in einem weichen, verschwommenen Portugiesisch aus: Rio de Janeiro, Itaparica, Recife, Ouro Prêto, Salvador. Bilder von grellbunten Kolonialstädten, schwarze Frauen in weißen Kleidern, die brennende Kerzen auf das Meer hinaus schickten. Fotos von Olivia während des Karnevals; sie trug ein silbriges, bis zu den Achselhöhlen geschlitztes Flitterkleid, ihr zerzaustes Haar war mit Federn geschmückt. Sie hielt die Hand eines weißen Mannes fest; er war braun gebrannt und hatte langweilige blaue Augen.
    »Der Karneval würde dir gefallen«, sagte sie. »Man tanzt drei Tage hindurch.«
    »Ich hasse Menschenaufläufe«, sagte ich, schon etwas betrunken von ihrem süßen, ziegelsteinschweren Rumpunsch. »Ich habe immer Angst, dass ich zerquetscht werde.«
    »Das passiert schon mal«, sagte Olivia und wippte im Takt der Sambamusik. »Während des Karnevals sollte man besser nicht hinfallen.«
    Nach einer Weile stand sie auf, um zu tanzen. Ich legte mich auf die Bettcouch und schaute ihr zu, wie sie sich in ihrem um den Kopf gewundenen Tuch und dem Wickelrock im Takt der verschlungenen Sambarhythmen bewegte. Ich stellte mir vor, wie sie, nur in Flitter und Schweiß gekleidet, in der zuckenden Menge unter südlicher Sonne tanzte, begleitet von den Düften nach Rum, Mangos und Ma Griffe. Die Musik glitt in Wellen ihren Körper entlang, ihre Füße scharrten in kleinen, verhaltenen Schritten, die Arme schwankten wie Palmen über ihrem Kopf. Hunderttausende Menschen jeglicher Schattierung, die unter der Sonne pulsierten.
    »Tanz mit mir«, sagte sie.
    »Kann nicht tanzen«, erwiderte ich. »Ich bin ein weißes Mädchen.«
    »Kann nicht gibt’s nicht.« Sie grinste, während ihre Hüften feine Kreise beschrieben, wie strömendes Wasser über den Steinen. Sie ergriff meine Hand und zog mich von der Bettcouch hoch.
    Linkisch stand ich ihr gegenüber und versuchte, ihre Bewegungen nachzumachen, doch selbst in meinem leicht beschwipsten Zustand war mir bewusst, wie albern ich aussah, völlig aus dem Rhythmus, ohne

Weitere Kostenlose Bücher