Weisser Oleander
groß, und sie fühlte sich einsam.
Die anderen Mädchen unterhielten sich auf Spanisch über den polierten Esstisch hinweg, dabei lachten sie leise und starrten mich nur an. Ich war das weiße Mädchen. Ich hatte das schon mal erlebt, man konnte daran nichts ändern. Amelia stellte sie mir vor: Kiki, Lina, Silvana. Das Mädchen mit dem langen Zopf war Micaela, und das drahtige, aggressiv aussehende Mädchen mit der halbmondförmigen Narbe auf der Stirn, das uns das Essen servierte, war Nidia Diaz. Wir aßen Chiles Rellenos mit Salat und Maisbrot.
»Es schmeckt gut«, sagte ich und hoffte, dass Nidia endlich aufhören würde, mich so wütend anzustarren.
»Ich suche die Rezepte aus«, sagte Amelia. »Einige der Mädchen kommen zu mir und können noch nicht mal eine Büchse öffnen.« Sie betrachtete Nidia und lächelte.
Nach dem Essen trugen wir unsere Teller in die Küche, wo Nidia mit dem Abwasch begann. Sie nahm meinen Teller entgegen und kniff die Augen zusammen, sagte aber kein Wort.
»Komm hier herein, Astrid«, rief Amelia. Sie führte mich in ein kleineres Wohnzimmer, femininer eingerichtet als das große, mit spitzengesäumten Tischdecken und einer altmodischen Couch. Sie bot mir den Sessel neben ihrem an und schlug ein großes, in Leder gebundenes Fotoalbum auf der Marmorplatte des Couchtisches auf. »Das hier ist mein Zuhause. In Argentinien. Ich hatte dort ein herrliches Haus.« Sie zeigte mir Fotos eines rosafarbenen Hauses, dessen Innenhof mit Natursteinplatten gefliest war; eine Abendgesellschaft saß bei Kerzenschein an Tischen, die um ein rechteckiges Schwimmbad gruppiert waren. »Ich konnte mühelos ein Abendessen für zweihundert Leute geben«, sagte sie.
Im dunklen Inneren des Hauses konnte man eine mächtige, breite Treppe und dunkle Heiligenbilder erkennen. Auf einem Foto saß Amelia, mit Perlen behängt, auf einem thronartigen Sessel vor einem Gemälde, das sie selbst darstellte. Quer über ihrem Ballkleid trug sie ein Ordensband, und rechts und links von ihrem Sessel standen ein Mann, ebenfalls mit Ordensband geschmückt, und ein hübscher kleiner Junge. »Das sind mein Sohn Cesar und mein Mann.«
Ich fragte mich, was in Argentinien passiert war. Was machte sie überhaupt hier in Hollywood, wenn es dort so toll war? Und was war mit ihrem Mann und ihrem kleinen Sohn geschehen? Ich wollte sie gerade fragen, als sie die Seite umklappte und mit einem lackierten Fingernagel auf ein Foto deutete, auf dem zwei Mädchen in braunen Uniformen auf einem Rasen knieten. »Meine Dienstmädchen«, sagte sie und lächelte wehmütig. »Sie haben auf ihren fetten culos herumgesessen, deshalb habe ich sie das Unkraut auf dem Rasen jäten lassen.«
Sie starrte andächtig auf das Foto der Unkraut zupfenden Mädchen. Ich bekam das kalte Grausen. Es war eine Sache, Leute Unkraut jäten zu lassen, aber aus welchem Grund sollte es irgendjemand fotografieren wollen? Wahrscheinlich war es besser, die Antwort darauf nicht zu wissen.
Mein Zimmer in Amelias Haus war sehr geräumig; zwei Betten, die mit blümchenübersäten weißen Quilts bedeckt waren, und Blick in die Deodarazeder. Silvana, das Mädchen, mit dem ich das Zimmer teilte, war älter als ich; sie hatte ihre Augenbrauen zu einer dünnen Linie gezupft und die Lippen mit Konturenstift umrandet, aber nicht ausgemalt. Sie lag auf dem Bett, das weiter von der Tür entfernt stand, feilte sich die Fingernägel und musterte mich, während ich meine Sachen in die Kommode räumte und die Kartons in den begehbaren Kleiderschrank stellte.
»Zuletzt habe ich in einer umgebauten Wäschekammer geschlafen«, sagte ich. »Hier ist es dagegen echt nett.«
»Der Schein trügt«, entgegnete Silvana. »Und glaub nicht, dass es dir irgendwas nützt, wenn du der alten Hexe in den Arsch kriechst. Du schlägst dich besser auf unsere Seite.«
»Sie scheint doch ganz okay zu sein«, sagte ich.
Silvana lachte. »Wart’s ab, muchacha! «
Am nächsten Morgen wartete ich, bis ich an der Reihe war, das riesige weißgekachelte Badezimmer zu benutzen, zog mich dann an und ging nach unten. Die Mädchen wollten gerade zur Schule aufbrechen. »Hab ich das Frühstück verpasst?«, fragte ich.
Silvana antwortete nicht, schulterte bloß ihren Rucksack, die Augenbrauen zwei gleichgültige Bögen. Eine Hupe ertönte, und sie lief nach draußen, stieg in einen tiefer gelegten violetten Pick-up und fuhr davon.
»Du willst Frühstück?«, meinte Nidia, während sie sich im Flur ihre
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