Weisser Oleander
war. Kein Babysitten mehr, keine 99-Cent-Geschenke, während die Zweijährige ein lebensgroßes Barbie-Auto bekam.
»Nein. Genau genommen möchten sie sogar gern jemanden adoptieren.«
Das war ja etwas ganz Neues, eine Möglichkeit, die ich bisher nie in Betracht gezogen hatte. Adoption. Das Wort klapperte in meinem Kopf herum wie Steine in einer Keksdose. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Wir fuhren an den Paramount-Filmstudios vorbei, an dem großen Tor mit den drei Bögen, am Parkwächterhäuschen; Leute kurvten auf breitbereiften Fahrrädern über das Gelände. Aus Joans Blicken sprach die Sehnsucht. »Nächstes Jahr werde ich auch da drin sein«, sagte sie. Manchmal fragte ich mich, wer jünger sei, sie oder ich.
Ich tastete das Wort »Adoption« in Gedanken so vorsichtig ab, als sei es radioaktiv, und sah dabei das Gesicht meiner Mutter vor mir, schwammig, mit eingefallenen Wangen und blind vor Wut.
Joan fuhr über den Abschnitt der Melrose Avenue westlich der La Brea Avenue, vorbei an hippen Geschäften, die gebrauchte Stiefel und Spielzeug für Erwachsene verkauften, bog südlich in eine ruhige Seitenstraße ab, in ein gewachsenes Viertel aus Stuckbungalows und hohen Platanen mit kreidigen weißen Stämmen und Blättern wie Hände. Wir parkten vor einem der Häuser, und ich folgte Joan zur Tür. Auf dem Emailleschild unter der Klingel stand in Schreibschrift »The Richards«. Joan klingelte.
Die Frau, die uns öffnete, erinnerte mich an Audrey Hepburn. Dunkles Haar, langer, schlanker Hals und ein breites, strahlendes Lächeln, ungefähr dreißig. Ihre Wangen röteten sich, während sie uns hereinwinkte. »Ich bin Claire. Wir haben euch schon erwartet.« Sie hatte eine altmodische, samtige Stimme und sprach jede Silbe deutlich aus; sie sagte »err-wahr-tett« statt »erwartet«, mit scharfen, präzisen T und R.
Joan schleppte meinen Koffer. Ich trug die Bücher meiner Mutter, Onkel Rays Schmuckkästchen und eine Tasche mit den Sachen von Olivia.
»Kommt, ich helfe euch tragen«, sagte die Frau, nahm mir die Tasche ab und stellte sie auf den Sofatisch. »Stellt das einfach irgendwohin.«
Ich legte meine Sachen neben dem Tisch ab und schaute mich im Wohnzimmer um. Der Raum hatte niedrige Decken und war in Weiß mit einem Stich Rosa gestrichen, der Boden war mit abgebeizten rötlichen Kieferndielen ausgelegt. Es gefiel mir jetzt schon. Über dem Kamin hing ein Bild: eine Qualle vor dunkelblauem Hintergrund, durchzogen von dünnen hellen Linien. Kunst, etwas Handgemaltes. Ich konnte es kaum glauben. Irgendjemand hier hatte ein Kunstwerk gekauft. Und eine Bücherwand mit abgegriffenen Buchrücken, CD s, Schallplatten und Kassetten. Die Sitzecke sah bequem aus, ein blau, rot und violett gewebter Stoff; zwischen den Sitzelementen stand eine Leselampe. Ich traute mich kaum zu atmen. Das konnte einfach nicht wahr sein, das konnte nicht für mich bestimmt sein. Sie würde es sich anders überlegen.
»Wir müssen nur noch ein paar Dinge besprechen«, sagte Joan, setzte sich auf das Sofa und öffnete ihre Aktentasche. »Astrid, könntest du uns einen Moment entschuldigen?«
»Fühl dich wie zu Hause«, sagte Claire zu mir und lächelte, während sie mit einer großzügigen Geste ins Haus deutete. »Schau dich ruhig um.«
Sie setzte sich zu Joan, die meine Akte öffnete, lächelte mich dabei aber weiter an, ein bisschen zu viel, als sei sie besorgt, was ich über sie und ihr Haus denken würde. Am liebsten hätte ich ihr gesagt, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauche.
Ich ging in die Küche. Sie war klein, rot-weiß gefliest, mit einer glänzenden Tischplatte und Chromstühlen. Eine richtige Musterküche, dekoriert mit einer Sammlung Salz- und Pfefferstreuer. Betty-Boop-Figuren, Porzellan-Kühe und Kakteentöpfchen. Es war eine Küche, in der man Kakao trinken und Halma spielen konnte. Es beunruhigte mich, wie sehr ich das alles wollte.
Ich ging in den kleinen Garten: bunte, großzügige Blumenbeete und Blumenkübel auf der Holzterrasse, eine Chinesische Ulme mit herabhängenden Zweigen. Es gab ein Windrad, das eine fliegende Gans darstellte, und an der sonnigen Hauswand wuchsen rote Weihnachtssterne. »Kitsch«, hörte ich die Stimme meiner Mutter sagen. Doch es war nicht kitschig, es hatte Charme. Auch Claire Richards mit ihrem breiten »Habt-mich-lieb«-Lächeln hatte Charme. Ihr Schlafzimmer, das mit seinen offenen Flügeltüren an die Terrasse anschloss, hatte Charme. Die Steppdecke auf
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