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Weisser Oleander

Weisser Oleander

Titel: Weisser Oleander Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janet Fitch
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Möglichkeit allzu Hässliches und Extremes. Ich wusste, wie ich das am geschicktesten anstellen konnte. Ich sprach von meiner Mutter, erwähnte aber nur die guten Seiten. Ich bin keine Nörglerin; auch über dich werde ich bestimmt nichts Schlechtes erzählen, Claire Richards.
    Sie zeigte mir ihre Fotos und Sammelalben. Ich erkannte sie auf den Bildern kaum wieder. Sie war so schüchtern, dass ich sie mir gar nicht vor Publikum vorstellen konnte, doch beim Anschauen ihrer Alben stellte ich fest, dass sie in ihren Rollen nicht im Entferntesten ihrem eigentlichen Ich ähnelte. Sie sang, sie tanzte, sie weinte auf Knien, einen Schleier über den Kopf gezogen. Sie lachte in einer tiefausgeschnittenen Bluse, ein Schwert in der Hand.
    »Das war die ›Dreigroschenoper‹«, sagte sie. »Wir haben sie in Yale einstudiert.«
    Sie war Lady Macbeth, davor hatte sie die Tochter in »Nacht Mutter « gespielt. Catherine in »Plötzlich letzten Sommer « .
    Sie spielte nur noch sehr selten. Sie schob ihr Granatherz an seiner Kette hin und her, klemmte es unter ihre volle Unterlippe. »Ich bin es so Leid. Man bereitet sich stundenlang vor und schleppt sich zum Vorsprechen hin, wo sie einen dann zwei Sekunden lang anschauen und einem sagen, man sei zu ethnisch. Zu klassisch. Zu irgendwas.«
    »Zu ethnisch?« Ihre hohe blasse Stirn, das glänzende Haar.
    »Das bedeutet brünett.« Sie lächelte. Einer ihrer Vorderzähne war schief, er stand ein kleines Stückchen über dem anderen. »Zu klein heißt Busen. Klassisch bedeutet zu alt. Ich fürchte, es ist kein besonders schönes Gewerbe. Ich gehe immer noch ab und zu zum Vorsprechen, doch es ist ein sinnloses Unterfangen.«
    Ich wischte mit dem Finger den letzten Rest Boursin aus der Dose. »Warum machst du es dann überhaupt noch?«
    »Was – das Showbusiness aufgeben?« Sie lachte so leicht, wenn sie froh war, allerdings auch, wenn sie traurig war.
    Das New Beverly Cinema lag gleich um die Ecke von ihrem Haus. Gerade liefen »Herzkönig« und »Die Kinder des Olymp « , und wir kauften uns eine Riesentüte Popcorn und lachten und weinten und lachten dann darüber, dass wir weinten. Früher war ich mit meiner Mutter dauernd dorthin gegangen, allerdings in andere Filme. Sie mochte keine rührseligen Filme. Sie zitierte gerne D. H. Lawrence: »Sentimentalität heißt, sich Gefühlen hinzugeben, die man gar nicht wirklich hat.« Sie zog düstere europäische Filme vor – Antonioni, Bertolucci, Bergman –, Filme, in denen alle starben oder sich wünschten, sie wären gestorben. Claires Filme waren wunderbare Träume. Ich wäre am liebsten in sie hineingestiegen und hätte in ihnen weitergelebt, als hübsches verrücktes Mädchen in einem Tutu. Unersättlich gingen wir am nächsten Abend wieder hin und sahen sie uns noch mal an. Mein Herz fühlte sich an wie ein zu prall gefüllter Ballon, und ich bekam Panik. Womöglich würde ich eine Art Druckluftkrankheit bekommen, wie die Tiefseetaucher, wenn sie zu schnell an die Oberfläche kommen.
    Nachts lag ich wach in meinem Bett mit den weißen Spitzenrüschen und betrachtete Dürers Kaninchen. Es musste einfach schief gehen. Joan Peeler würde mir mitteilen, dass sie es sich anders überlegt hätten und lieber eine Dreijährige wollten. Sie hätten sich entschlossen, noch ein paar Jahre zu warten. Ich machte mir Gedanken um Claires Mann. Ich wollte nicht, dass er nach Hause kam und sie mir wegnahm. Es sollte immer so bleiben wie jetzt, wo nur wir beide im Wohnzimmer saßen, Gänseleberpastete und Erdbeeren zum Abendbrot aßen, dabei Debussy hörten und uns über unser Leben unterhielten. Sie wollte alles über mich wissen, wie ich war, wer ich war. Das beunruhigte mich; es gab gar nicht so viel über mich zu erzählen. Ich hatte keine besonderen Vorlieben. Ich aß alles, zog alles an, setzte mich überall hin, wo man es mir anbot, schlief, wo man es mir sagte. Ich war unendlich anpassungsfähig. Claire wollte zum Beispiel wissen, ob ich lieber Kokosnussseife oder Grüner Apfel mochte. Ich hatte keine Ahnung. »Du musst dich schon entscheiden«, sagte sie.
    Also benutzte ich grüne Apfelseife und Kamillenshampoo. Ich zog es vor, bei geöffnetem Fenster zu schlafen. Ich mochte mein Fleisch blutig. Ich hatte eine Lieblingsfarbe, Ultramarin, und eine Lieblingszahl, neun. Manchmal hatte ich allerdings den Verdacht, dass Claire mehr in mir suchte, als ich zu bieten hatte.
    »Was war der schönste Tag in deinem Leben?«, fragte sie mich eines

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