Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Weisser Schrecken

Weisser Schrecken

Titel: Weisser Schrecken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Finn
Vom Netzwerk:
seien fortan verdammt, dem wilden Jäger zu dienen. Das willst du doch nicht, oder?«
    Niklas zitterte und versank förmlich zwischen den Polstern. Warum versuchte sein Vater ihm solche Angst einzujagen? Der erhob sich jetzt aus seinem Sessel und bedeutete ihm aufzustehen. »Das ist der Grund, warum ich hier sitze. Und das ist auch der Grund, warum wir heute das Licht gelöscht lassen. Niemand darf wissen, dass hier Leben ist. Und ich passe auch auf, dass niemand das Haus verlässt.« Draußen heulte der Sturm nun derart, dass Niklas einen Moment lang glaubte, die Wilde Jagd würde tatsächlich auf Perchtal her abfahren. War sein Vater ebenfalls verrückt geworden? »Schon gar nicht wirst du dieses Haus verlassen. Nicht heute. Nicht zu dieser Stunde.« Unsanft packte ihn sein Vater am Arm und dirigierte ihn zurück zu seinem Jugendzimmer.
    »Papa, du tust mir weh.«
    »Das sind keine Schmerzen, Sohn. Schmerz ist etwas anderes!« Mit wildem Blick blieb er in der Tür stehen. »Und jetzt verkriech dich in dein Bett und tu das, was alle Kinder zu dieser Stunde tun sollten: schlafen! Du wirst deine Kräfte morgen noch benötigen.« Er zog die Zimmertür zu und schloss ab. Niklas starrte im Dunkeln das Holz an, ließ sich schwerfällig auf sein Bett fallen und schlang zitternd die Arme um sich. Sein Vater war verrückt geworden. Sie alle waren verrückt geworden. Wenn nicht bald etwas geschah, dann würde auch er verrückt werden.
    Robert fror. Er war schon jetzt froh, dass er sich dazu entschieden hatte, seine alte Wollmütze aufzusetzen, auch wenn das zu Lasten seines Styles ging. Denn mit Einbruch der Nacht war es in Perchtal noch kälter geworden. Schneewehen trieben über die verschatteten Straßenzüge, und ein scharfer Wind fing sich in seiner Jacke. Wenn er die alte Küchentaschenlampe seiner Mutter aufblitzen ließ, dann enthüllte der Lichtstrahl auf dem Weg vor ihm ein undurchdringliches Gestöber, so als hätten sich Tausende wirbelnder Schneeflocken dazu entschlossen, sich ihm allein in den Weg zu werfen. Warum hatte er sich auf den Mist heute bloß eingelassen? Wenn es hier in Perchtal tatsächlich spukte, dann war es vielleicht nicht ganz ungefährlich, was sie heute zu tun beabsichtigten. Doch wenn es eine Möglichkeit gab, mit der Geisterwelt Kontakt aufzunehmen und sich sein Bruder Stefan melden würde, das wäre schon der helle Wahnsinn. Die Aussicht war zwar gruselig, andererseits würde das alles auf den Kopf stellen, woran er bisher geglaubt hatte.
    Er und Miriam hatten den ganzen Nachmittag an etwas gebastelt, das einem Quija- oder Hexenbrett am nächsten kam. Als Unterlage hatten sie das große schwarze Seidentuch seiner Mutter genommen, auf das sie nach einigen missratenen Versuchen mit Filzschreibern und aufgeklebten Papierschnipseln schließlich Buchstaben und Wörter mit weißer Lackfarbe gemalt hatten. Das Tuch lag jetzt sorgfältig getrocknet und zusammengefaltet in der Sportasche, die er mit sich trug. Darin befanden sich auch einige in altes Zeitungspapier umwickelte Wein- und Sprudelgläser als ›Anzeiger‹, von denen sie hofften, dass sie gut über den glatten Untergrund gleiten würden.
    Robert hatte das Dorf inzwischen hinter sich gelassen, von dem nur noch wenige erleuchtete Fenster zeugten, und stapfte auf die von Lerchen und Birken gesäumte Uferböschung des Perchtensees zu. Die kahlen Bäume erstickten förmlich unter der weißen Last, während sich die zugefrorene Seefläche als weißgraue Ebene in die Dunkelheit spannte. Robert ließ die Taschenlampe abermals aufflammen; der irrlichternden Schein erfasste große Mengen Pulverschnees, der immerzu über das Eis tanzte und dabei Wellen, Bogen und seltsame geometrische Figuren ausformte. Doch der See war nicht sein Ziel. Soweit er sich erinnerte, musste er noch ein paar hundert Meter weiter nach Süden gehen, um das einstige Bootshaus zu erreichen. Es lag verschwiegen in einer kleinen, natürlich geformten Ausbuchtung des Perchtensees, und die vielen Bäume ringsum schirmten das Gebäude gut vor Blicken aus dem Ort ab. Er und Andy waren erst vor zwei Jahren beim Rumstromern darüber gestolpert. Leider hatten die Erwachsenen schon damals alle Eingänge wegen Einsturzgefahr zugenagelt. Warum man das alte Bootshaus nicht gleich ganz abgerissen hatte, schrieb er dem Umstand zu, dass sich niemand im Dorf für den Bau so recht verantwortlich fühlte.
    Er stellte den Kragen auf, schulterte die Sporttasche und marschierte weiter die von

Weitere Kostenlose Bücher