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Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North

Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North

Titel: Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Theroux
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alt, und ich sah meine Mutter mit offenem Mund an, als sie das sagte. Vor Staunen. So schlimm die Dinge standen, eine solche Kontinuität zu haben … Wie auch immer, Eli kam den ganzen Winter über alle paar Monate vorbei, um nach uns zu sehen. Er pendelte zwischen Tschukotka und uns und brachte Nachrichten. Aber bald wurde es sogar für mich offensichtlich, dass er uns nicht nur aus gutnachbarlichem Verhalten heraus besuchte. Er hatte an meiner Mutter Gefallen gefunden und machte ihr den Hof. Unsere Verwandten waren nicht gerade begeistert davon, wo er doch Jude war und überhaupt, aber meine Mutter war verwitwet und hatte keine besseren Anträge. Sie wollte keine Widerrede hören und wies immer wieder darauf hin, dass Er nicht zum ersten Mal einen Juden schickte, um uns zu retten. Sie heirateten im Frühjahr, und ich ging mit Eli arbeiten. Er hatte hier oben ein Geschäft am Laufen. Er nahm Schwarzgebrannten und Kugeln und sonstwas und bezahlte damit die Tungusen, damit sie für ihn in die Zone gingen und Waffen und Werkzeuge rausholten. Die brachte er dann zum Verkaufen nach Alaska zurück. Händler kamen von überall her, um ihn zu treffen. Sie hatten eine Ahnung, wo er es herhatte, und zeterten über seine
Preise, aber keiner von ihnen hätte tun können, was er tat. Ich begann, mit ihm herumzureisen. Ich kenne den Norden, so wie du. Ich verstehe die Denkweise der Tungusen. Mit der Zeit wurde Eli von mir abhängig. Wir schafften es, ganze Bezirke von Polyn leerzuräumen und den Kram zurück in die Staaten zu schaffen, aber mit jedem Mal wurde es schwieriger, Arbeitskräfte zu kriegen. Die Tungusen wurden krank und weigerten sich, zu gehen. Jedes Mal mussten wir ein neues Dorf verpflichten. Sie hassen uns dort noch immer für das, was wir ihnen damals angetan haben. Schließlich sagten wir uns, dass es doch einen leichteren Weg geben müsste. All diese Massen von Menschen auf der Suche nach Nahrung – und uns fehlten die Arbeitskräfte. Da stolperten wir über diesen Ort hier. Es war eine alte Garnison. Wir statteten sie mit Männern aus, und zweimal im Jahr schickten wir sie los, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Anfangs führte ich sie noch selbst. Ich ging nie in die Zone hinein, aber ich war gern in ihrer Nähe. Wegen der Strahlung machte ich mir keine Sorgen, aber dieses andere Zeug, das ist übel. Wir konnten nicht riskieren, dass das nach draußen gelangte. Die ersten paar Male brachten wir die Leute ins Lager zurück, aber es wurden so viele krank, dass wir sie alle umbringen und von vorne anfangen mussten. Es machte uns keine Freude, das zu tun, es
war keine leichte Entscheidung. Aber ohne die Sachen aus der Zone geht es einfach nicht, das liegt klar auf der Hand. Unsere Arbeit ist nicht schön. Aber ich bin nicht bereit, meine Frau und meine Familie wie Tungusen leben zu lassen. Im übrigen werden die meisten dieser Gefangenen die Zone nie zu Gesicht kriegen. Es gibt alte Männer hier, die ohne das Lager schon vor Jahren gestorben wären. Wenn man die Jahre, die sie gewonnen haben, von den verlorenen Jahren abzieht, sind wir unterm Strich denke ich quitt.«
    Callard schwieg für eine Weile.
    »Und wie hast du das andere Auge verloren?«, fragte ich.
    Er rutschte auf seinem Stuhl herum. »Das andere ist grauer Star. Zu viel in die Sonne geblickt. Aber ich kann genug damit sehen, um dich wiederzuerkennen. Weißt du, das Problem mit der Zone ist, dass uns mit den Jahren die leichten Funde ausgegangen sind. Es wird immer schwerer, das zu finden, was wir wollen, und doch ist das Beste angeblich noch dort. Dinge, gegen die das Glas, das du gefunden hast, wie eine Steinschleuder wirkt. Medizin. Zellproben. Das Danielsfeuer. Deshalb habe ich Apofagato rübergeschickt. Aber Boathwaite hatte sich gerade diesen Zeitpunkt ausgesucht, mir auf die sanfte Tour zu kommen.« Callard sah mich an, und
ich fragte mich, ob er das Bedürfnis verspürte, sich vor mir freizusprechen, weil ich ein Teil seiner Vergangenheit war. Dann fuhr er fort: »Er wollte damit aufhören, aber meine Ehe und meine Kinder haben mich zu einem Kämpfer gemacht. Deshalb bin ich hier draußen und riskiere meinen Arsch – damit sie leben können, wie sie es verdient haben. Boathwaite dagegen hat es weich gemacht. Ehe hieß für ihn, mit seiner Frau und Tochter im Garten zu sitzen und Eiscreme zu essen.« Für einen Moment schien Callard eine Stimme in seinem Kopf zu hören, die ihn der Grausamkeit bezichtigte – als regte sich ein

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