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Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North

Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North

Titel: Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Theroux
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nach »Ping«. Ja, genau: Ping. Wie die Glocke auf einem Ladentresen. Wie ein Knopf, der einem vom Hemd springt. Oder eine gerissene
Banjosaite. Ping. Ich fragte mich, was für ein Heidennamen das denn sein sollte oder ob es womöglich einen St. Ping gab, von dem mir nie einer erzählt hatte.
    Aber so hieß er wohl. Ein Name ist ein Name. Also zeigte ich auf mich und sagte: »Makepeace.«
    Er sah mich zweifelnd an, zog ein Gesicht, als habe er nicht recht gehört, und war sich offenbar nicht ganz sicher, ob er sich traute, das Wort auszusprechen. Also sagte ich es noch einmal: »Makepeace.«
    Jetzt stahl sich ein breites Grinsen auf sein Gesicht. »Make-a-piss?«
    Ich kniff verärgert die Augen zusammen. Aber er versuchte nicht, mich zu veralbern, er dachte einfach, dass ich so heiße. Und irgendwie schien es lustig, dass er meinen Namen so verbockte, wo ich doch über seinen ebenfalls herzlich gelacht hatte.
     
    Es hatte keinen Sinn, Ping bei mir im Haus zu haben und ihm gleichzeitig nicht zu trauen. Ich bin eigenbrötlerisch und störrisch und misstrauisch, und deshalb habe ich so lange überlebt. Der Letzte außer mir, der unter diesem Dach geschlafen hatte, war Charlo gewesen, und das war über zehn Jahre her. Aber ich dachte damals – und denke noch heute –, dass man jemanden, wenn man ihn schon reinlässt, auch ganz reinlassen sollte. Immer, wenn ich aus dem
Hof ritt, ging ich davon aus, dass jeder, den ich traf, auf die eine oder andere Weise vorhatte, mich auszurauben oder umzubringen. So konnte ich aber nicht in meinem eigenen Haus leben. Also beschloss ich, Ping zu vertrauen. Das war keine Frage des Bauchgefühls – schließlich hatte ich keine Ahnung, wer er war –, es war einfach die einzige Möglichkeit, wie ich leben konnte.
    Trotzdem war ich ein wenig überrascht, als ich mittags zurückkam und die Schlösser noch heil waren, das Feuerholz noch sauber gestapelt war, die Hühner noch pickten und die Kohlköpfe und Äpfel im Keller unangetastet waren. Nur keine Spur von Ping – und ich gestehe, bei dem Gedanken, dass er vielleicht weg war, wurde ich einen Moment lang traurig.
    Ich rief im Treppenhaus nach ihm und polterte in meinen Stiefeln ins Obergeschoss. Niemand da. Dann öffnete ich die Tür zu Charlos Zimmer und starrte fassungslos auf die Szene, die sich mir bot.
    Ping saß mit Mas altem Nähkästchen und dem Spiritusbrenner vor dem Spiegel, nahm eine Stahlnadel nach der anderen heraus, reinigte sie in der Flamme und stach sie sich ins Fleisch seiner Ohren.
    Er freute sich sichtlich, mich zu sehen, und lachte über meine Verwirrung. Seine Ohren waren gespickt wie ein Stachelschwein. Es musste unglaublich wehtun, aber es schien ihm nichts auszumachen. Er fuhr
einfach fort, sich die Nadeln in die Ohren zu stechen. Und als er damit fertig war, steckte er sich zwei davon in die Nase, und dann jeweils zwei in die Schultern.
    Ich habe ja wirklich einen starken Magen, doch bei diesem Anblick wurde mir etwas mulmig. Ping machte mir klar, dass er nicht verrückt war, sondern dass die Nadeln ihm helfen sollten mit der Wunde in seiner Schulter. Aber was für weiße oder schwarze Magie das sein sollte – keine Ahnung.

2
    PING HATTE NOCH MEHR seltsame Angewohnheiten. Nachdem sein Arm mehr oder weniger verheilt war, stand er noch früher auf als ich und verschwand in der winterlichen Schwärze des Gehöfts. Es dauerte einige Zeit, bis ich ihn dabei erwischte, aber eines Morgens schlich ich mich schließlich runter und sah, wie er dort draußen tanzte.
    Er bewegte sich furchtbar langsam und so aufrecht, als würde er eine Kanne auf dem Kopf balancieren. Zehn oder fünfzehn Minuten ging das so. Ping tanzte über den Hof, schwenkte seine Arme in der Luft, balancierte bisweilen auf einem Bein oder ging in die Hocke.
    »Was zur Hölle war das?«, fragte ich ihn, als er damit fertig war.
    Es schien ihm nichts auszumachen, dass ich ihm zugesehen hatte. »Gong Fu«, sagte er. »Gong Fu.« Und das war alles. Er versuchte, mir ein paar Schritte von seinem Gong Fu zu zeigen, aber das war nicht ganz mein Fall – es ging so langsam, dass ich anfing,
darüber nachzudenken, wie bescheuert ich aussah, und dann fing ich an, über andere Sachen nachzudenken, über Charlo und Anna und Ma und Pa, und bis dahin hatten sich meine Beine völlig verheddert, und Ping lachte mich aus. Aber es schadete mir auch nicht, und um die Wahrheit zu sagen, ich hatte ein paar wirklich gute Gedanken dabei.
    Ping bei mir zu haben brachte

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