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Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North

Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North

Titel: Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Theroux
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beiden Pistolen und die große Schachtel Munition, die zu gießen mich ein gutes Stück meines Lebens gekostet hatte – alles weg.
    Ich verfluchte den Himmel dafür, dass ich so dumm war, und meine Mutter dafür, dass sie mir meine Dummheit nicht ausgetrieben hatte, und die Karibu-Hirten für ihre Verschlagenheit. Dazu einen ganzen Haufen anderer Flüche, von denen keiner auch nur im Geringsten half, mir meine Waffen wiederzubringen.
Zu Hause hatte ich noch eine alte Schrotflinte und das Gewehr, dass ich Ping dagelassen hatten, sonst aber nichts.
    Ohne meine Waffen würde ich nicht überleben, also stand ich vor einer einfachen Wahl.
    Ich sattelte die Stute und folgte den Spuren. Gustav hatte sich keine Mühe gegeben, sie zu verwischen, wohl in dem Glauben, dass ich zögern würde, einen bewaffneten Mann zu verfolgen. Ich wusste, dass ich das schnellere Reittier hatte, da er ein Karibu ritt, aber er hatte Gott weiß wie viele Stunden Vorsprung.
    Zugleich musste ich darauf achten, ihn nicht zu schnell zu stellen – meine beste Chance war, mich nachts an ihn heranzuschleichen, so wie er es mit mir gemacht hatte –, und als ich merkte, dass ich ihn einholte, stieg ich ab und ging zu Fuß weiter.
    Sein Lagerfeuer machte ich zuerst aus, dann sein Zelt. Vor Einbruch der Dunkelheit hatte es keinen Sinn, mich weiter zu nähern, also wartete ich.
    Ich hatte mir zwar eine Reihe von Vorgehensweisen zurechtgelegt, doch als ich sah, wie er sein Lager ausstaffiert hatte, wusste ich, was zu tun war.
    Im Dunkeln schlich ich mich an und steckte dann sein Zelt mit der Glut des Feuers in Brand. Der Boden des Zelts bestand aus Rentierhaut, doch darunter hatte er trockene Zweige ausgelegt, um weicher zu schlafen. Es fing ziemlich schnell Feuer, aber der
Rauch und die Hitze müssen ihn eine Weile noch schläfriger gemacht haben – vielleicht war er auch betrunken –, denn es dauerte etwas, ehe er auftauchte, wie eine benommene Biene, die aus einem ausgeräucherten Nest taumelt, froh, seine Haut gerettet zu haben, aber weniger erfreut, als er die Falle erkannte, in die ich ihn gelockt hatte.
    Wenn man im Winter weit im Norden unterwegs ist, ist es am besten, seine Jacke vor dem Zelt hängen zu lassen. Die Tungusen nehmen es ziemlich genau damit. Vor allem zum Schutz des Fells – es verliert weniger Haare und bleibt besser in Form. Es gibt aber noch einen anderen Grund. Die Chancen stehen hundert zu eins, aber es lohnt sich, darüber nachzudenken: Wird man nachts kalt erwischt oder muss man wegen irgendetwas nach draußen und stößt dabei versehentlich seinen Ofen um, dann geht das Zelt in Flammen auf, und mit ihm alles, was darin ist.
    Und kaum, dass man sich dazu gratuliert hat, nicht verbrannt zu sein, blickt man zum sternklaren Himmel hoch und hört die Eiskristalle in seinem Atem klirren – jenes Geräusch, das die Tungusen »Engelsflüstern« nennen – und reibt sich die nur mit einem Hemd bedeckten Arme, und ein ziemlich mieses Gefühl überkommt einen.
    Wäre ich dieser Hirte gewesen, hätte ich mir mit den gestohlenen Waffen eine Kugel in den Kopf gejagt
– denn Erfrieren ist eine verdammt üble Art, abzutreten. In dieser Nacht waren es vierzig Grad unter Null, und er brauchte fast zwei Stunden zum Sterben.
    Das Letzte, was man spürt, wenn man erfriert, ist das Gefühl, dass der Körper verbrennt. Das Herz pumpt das letzte heiße Blut in die Haut, während die Organe abschalten. Das ist der Grund, weshalb man sich die Kleider vom Leib reißt, auch wenn gerade die Leber zu Eis gefriert.
    Ich fand ihn am Morgen. Ich folgte der Spur seiner Kleider in den Wald, und da war er: nackt, bläulich, mit Raureif im Haar und gefrorenem Schwanz. Zum Glück hatte er noch meine Waffen um.

3
    JEMANDEN ZU TÖTEN, hängt mir immer sehr nach.
    Ob das daran liegt, dass ich eine Frau bin, oder ob ich aus einem anderen Grund eher weichherzig veranlagt bin, weiß ich nicht.
    Fast so lange, wie ich denken kann, hatte ich die weibliche Seite in mir bekämpfen müssen. Dies sind keine weichherzigen, weiblichen Zeiten.
    Mit meiner Größe und den breiten Schultern und der tiefen Stimme war es immer leicht, als Mann durchzugehen, aber trotzdem vergoss ich ein paar Tränen für diesen elendigen Hirten – und schalt mich dann dafür, weil ich wusste, dass er für mich keine vergossen hätte.
    Weichherzigkeit und Gewissensbisse und Gutgläubigkeit sind wie das Pianola oder die Bücher in dem alten Waffenladen auf der Mercer Street. Sie haben keinen

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