Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North
ich bei den meisten Gefangenen noch als Mann durch. Ich hielt mich am Rande, duschte allein und hortete diskret die Kleider, die ich für einen Monat brauchte. Aber früher oder später, das war mir klar, würde die Wahrheit herauskommen – so, wie wir lebten, konnte es nicht anders sein. Und ich war darauf gefasst, dass es hart werden würde. Die Männer im Lager dürstete es geradezu nach den Schwächen anderer.
Ich war im Badehaus, als es passierte. Zwei Kerle kamen hereingestolpert und zogen mir zum Spaß die Hosen runter. Sie waren von dem, was sie sahen, zu verdutzt, um spontan darauf zu reagieren, aber als ich an diesem Abend von den Feldern kam, merkte ich an den Blicken, die man mir zuwarf, dass sie es rumerzählt hatten.
Ich war gerade dabei, in der Baracke meine Arbeitshandschuhe zu flicken, als mich der Größere der beiden, die mich überrascht hatten, ansprach.
»Komm heute Nacht doch zu mir, Makepeace. Ich habe vierzehn Zoll kolbasa für dich.«
Ich hörte, wie er seine Hose öffnete und seinen Schwanz rausnahm. Ich sah auf, und ich schätze,
meine Augen verrieten die ganze Verachtung, die ich für ihn empfand.
Es schien, als ob sich die ganze Baracke mit ihm amüsieren würde.
»Zieh ihr lieber was über den Kopf. Ich habe schon Elche mit hübscheren Gesichtern gesehen.«
»Ach was, ich dreh sie einfach um.«
Und so weiter. Vor allem die beiden aus dem Badehaus überboten sich darin, was sie alles mit mir tun würden. Ich spürte, wie die Neugierde überall um mich herum wuchs. Einer nach dem anderen unterbrach seine Arbeit oder legte die Karten zusammen, um zuzusehen. Von den weiter entfernten Betten, wo die muslimischen Gefangenen unter sich waren, verfolgten Shamsudin und Zulfugar mit ernsten Gesichtern das Geschehen.
Nun beteiligten sich auch einige der anderen Gefangenen an dem Wettstreit der beiden aus dem Badehaus und stachelten sie an. Man merkte, dass es diese Männer, die einander sonst mit Angst und Misstrauen begegneten, ungemein erleichterte, eine gemeinsame Zielscheibe zu haben.
Ich entschied, mich ruhig zu verhalten. Ich wollte keine Schwäche zeigen oder gar feige wirken, aber ich durfte auch keine dicke Lippe riskieren. Das war wie Sachen auf Pump zu kaufen – früher oder später musste man die Rechnung zahlen. Ruhig biss ich
den Faden ab und zog den Handschuh über, um die neue Naht zu prüfen.
Der Größere der beiden Kerle riss noch immer das Maul auf. Offenbar genoss er seine neue Popularität. Aber die anderen Gefangenen begannen sich bereits zu langweilen und drängten ihn, seinen Worten endlich Taten folgen zu lassen.
Und so näherte er sich langsam, von einem Chor aus Gejohle und Gepfeife begleitet, meinem Bett. Es war das unterste von drei Brettern, und er musste sich zu mir hinunter bücken.
Ich sagte, er stünde mir im Licht, er solle aus dem Weg gehen.
Dann geschahen zwei Dinge gleichzeitig: Er streckte die Hand nach mir aus, um mich zu packen, und ich jagte ihm die Stopfnadel zwischen die Beine.
Keine Ahnung, ob er dort unten so groß war, wie er behauptete, oder ob ich nur einen Glückstreffer landete, jedenfalls rannte er kreischend ans andere Ende der Baracke, und das Gelächter, das ihn begleitete, war so laut, dass ich dachte, es würde uns das Dach wegblasen.
Shamsudin allerdings lachte nicht. Er hatte den Blick zu Boden gerichtet, und als er aufsah, war nichts als Kälte in seinen Augen.
Ich fand nicht, dass er für mich hätte eintreten sollen, aber vielleicht sah er das so. Wie auch immer,
wir beide wussten, dass die Sache damit noch lange nicht erledigt war.
Am nächsten Abend nach dem Appell rempelte mich Shamsudin auf dem Weg zum Essen an. Ich war zu überrascht, um etwas zu sagen. Er entschuldigte sich sofort und bückte sich dann. »Hier, das hast du verloren«, sagte er und drückte mir etwas Kaltes in die Hand.
Es war die Hälfte einer Schöpfkelle, an einem Ende abgebrochen, etwa sechs Zentimeter lang. Ich wusste seine Hilfe zu schätzen – die Wachen filzten uns regelmäßig nach Messern, und wenn man das bei ihm gefunden hätte, hätten sie ihm das Leben ziemlich schwergemacht.
Ich schärfte das Metall an einem Stein und brachte mit Fensterkitt einen Griff aus Stoff an. Jeden Morgen versteckte ich es in einer Ecke in der Latrine, und jeden Abend nahm ich es wieder mit und legte es unter die Jacke, die ich als Kissen verwendete.
Es zerrte ziemlich an meinen Nerven, auch nachts ständig wachsam bleiben und auf das Atmen in der
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