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Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North

Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North

Titel: Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Theroux
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einmal auf stur. Ich wollte nicht zu erkennen geben, dass ich mich nach genau so einer Art von Aufgabe gesehnt hatte – eine, die ich alleine verrichten konnte und wer weiß was noch für Vorzüge bot.
    Die Wache sagte, sein Kollege würde mir bringen, was immer ich brauchte, also sagte ich ihm, er solle mir eine Harke bringen und einen Spaten und eine Schubkarre, falls er eine fände.
    Wir warteten etwa eine Viertelstunde, dann kam der Bursche mit ein paar Gartengeräten und einem Sack statt einer Schubkarre wieder – und ich machte mich an die Arbeit.
     
    Von nun an verliefen meine Tage anders: Zwar arbeitete ich morgens ganz normal mit den anderen Gefangenen, aber zwei, drei Mal die Woche kamen nachmittags die Wachen und brachten mich zu dem Garten. Die beiden hießen Zhenia und Abelman. Sie
bewachten mich bei der Arbeit, und obwohl ich so nie wirklich alleine war, fühlte es sich an, als wäre ich es.
    Zhenia war der Jüngere der beiden, er machte Botengänge und ging mir hin und wieder zur Hand, wenn ich mit einer Wurzel kämpfte oder abgeschnittene Äste wegtrug, während Abelman mich immer im Auge behielt. Im Lager waren sie streng und unnahbar, aber kaum waren wir draußen, tauten sie etwas auf, machten Bemerkungen über das Wetter oder gratulierten mir zu meiner Arbeit. Abelman war ein Stadtmensch, aber Zhenia kam vom Land und begriff, was ich da machte.
    Meine neue Aufgabe brachte auch kleinere Freiheiten innerhalb des Lagers mit sich. Ich überzeugte Abelman, dass ich einen Spaten mit Halbmondblatt bräuchte, um die Rasenkanten richtig hinzukriegen. Erst schien es, als gäbe es so etwas im Lager nicht, dann, nachdem ich ihm eine Skizze davon gemacht hatte, brachte er mir einen, doch das Ding war schlecht verarbeitet und zerbrach, als ich es das erste Mal benutzte. Ich zeigte Abelman, dass das Blatt eine Kaltschweißstelle hatte, und sagte, ich könnte mir selbst einen besseren machen, wenn er mich in die Schmiede ließe.
    Die Schmiede lag außerhalb des Lagers und wurde angesichts dessen, was die Gefangenen dort theoretisch
alles anstellen könnten, ständig überwacht. Es brauchte eine Weile, bevor Abelman sich dazu durchringen konnte, doch schließlich sagte er ja.
    Von diesem Zeitpunkt an machte ich mir meine eigenen Werkzeuge, wann immer ich welche brauchte, und ich genoss die Arbeit in der Schmiede fast so sehr wie die einsame Schufterei im Garten. Ganz offensichtlich waren die Schmiede – eine Art von Adeligen unter den Gefangenen – von meinen Fähigkeiten beeindruckt, die ich mir durch jahrelanges Kugelgießen erworben hatte, und das wiederum erleichterte mir das Leben in den Baracken.
    Ich wusste, dass es im Winter weniger zu tun geben würde, also hob ich mir genügend Arbeit auf, um bis zum Frühling beschäftigt zu sein: Ich fällte die Linde, entfernte die Sträucher aus den Ecken des Gartens, fertigte allerlei Werkzeug zum Einpflanzen an – das alles, damit ich mich von den Baracken fernhalten und weiter alleine arbeiten konnte. Nur so blieb ich bei Verstand.
    Hin und wieder bemerkte ich, dass mich jemand vom Haus aus beobachtete. Ich hörte auch Stimmen – Frauenstimmen – und das Geräusch rascher Schritte im Haus. Das Eigenartigste aber war: Eines Tages im Herbst, als ich länger als üblich geblieben war und im Halbdunkel mein Werkzeug einsammelte, vernahm ich ein Summen. Ich blickte hoch – und
sah, wie die Fenster des Hauses in gelbem elektrischen Licht erstrahlten.
     
    Im März dann erwachte der Garten urplötzlich zum Leben, als wäre der Winter in einem Herzschlag vergangen. Ich freute mich unbändig darüber, denn es bedeutete mehr Arbeit alleine im Garten, und doch war ich besorgt. Beim Anblick der Blumen, die so früh blühten, und der Bäume, die so viel schneller austrieben als sonst, schien es mir, als würde sich tief im Gefüge der Dinge eine Veränderung vollziehen, und ich musste an die Tungusen denken, die sagten, die Welt muss den Winter hindurch schlafen, sonst erwacht sie wütend wie ein shatun und zerreißt alles, was sich ihr in den Weg stellt.
     
    Den Frühling und Sommer hindurch mähte ich das Gras jeden zweiten Tag mit einem dieser Handrasenmäher. Er war alt und rostig und verdammt schwer zu schieben. In der Juli-Hitze, mit den ganzen Mücken, war es wahre Knochenarbeit, und immer wieder musste ich eine Pause machen und mir das Gesicht mit einem Lappen abwischen – der salzige Schweiß brannte in meinen Narben.
    Inzwischen hatte es sich eingebürgert,

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