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Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North

Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North

Titel: Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Theroux
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alles andere Wertvolle im Lager – schwer zu kriegen.
    Dann sagte der Mann, dass die Zone eine Fabrikstadt nordwestlich von hier war. So wie manche Gefangenen zu Wachen befördert wurden, brachte man andere in die Zone, wo man sie für eine Art industrielle Arbeit ausbildete. Nur die Fähigsten wurden dafür ausgewählt.
    Ich spürte einen Stich des Bedauerns, dass man nicht mich genommen hatte, und so hoffte ich das nächste Mal, als man uns antreten ließ, inständig, dass eine Wache vor mir stehen blieb und mir auf die Schulter tippte, doch leider kam ich der Sache auf diese Weise nie wieder so nahe.

3
    WÄHREND DIE ANDEREN Gefangenen in ihrer freien Zeit Hosen nähten, Karten spielten oder Schachfiguren schnitzten, kümmerte ich mich um einen kleinen Garten hinter den Baracken. Dort pflanzte ich ausgegrabene Feldblumen ein und Ableger von blühenden Büschen. Nach dem, was Stavitsky und Maclennan geschehen war, ließ man mich in Frieden, und ohnehin gab es immer Neuankömmlinge, auf denen man herumhacken konnte.
    Diese Erde war wirklich etwas Besonderes. Als die Gartenwicken zu blühen begannen, kaufte eine der Wachen ein paar für seine Frau, und andere taten es ihm gleich. Sie bezahlten mich in Kleidungsstücken, von denen manche sogar passten, und die, die nicht passten, verlor ich mit Freuden beim Kartenspiel. Es schadet nie deiner Beliebtheit, beim Kartenspiel zu verlieren.
     
    Sonntags hatten wir frei. Es gab einen Gottesdienst, vor allem aber gab es Alkohol. An einem regnerischen
Sonntag im Juli – heiß und feucht, und wir saßen alle schlecht gelaunt in der Baracke – lag ich gerade auf meinem Bett und tat so, als schliefe ich, als eine Wache hereinkam und meinen Namen rief.
    Das war an sich nicht ungewöhnlich. Immer mal wieder rief man Leute heraus und sagte ihnen, sie sollten ihre Sachen mitnehmen. Wir wussten nicht, wohin man sie brachte, jedenfalls sahen wir sie in der Regel nicht wieder. Trotzdem hatte sich nie jemand geweigert, mitzukommen – es konnte ja sein, dass man zur Wache befördert wurde.
    Ich folgte dem Mann also nach draußen, wo sein Begleiter wartete, und die beiden führten mich aus dem Lager, aber nicht in die Richtung, in der es zur Feldarbeit ging. Die Torwächter filzten mich in ihrem kleinen Häuschen, dann ließen sie mich durch. Mein Herz hämmerte. Ich war nicht frei, aber ich atmete freie Luft.
    Was hatte ich erwartet? Ich weiß es nicht. Der Ort, in den ich gebracht wurde, unterschied sich nicht von unzähligen anderen, die ich im Norden gesehen hatte oder an denen wir auf unserem Marsch hierher vorbeigekommen waren. Es war eine weitere aufgegebene Siedlung, leer, überwuchert.
    Wir gingen etwa fünfzehn Minuten durch diesen Ort, als wir in eine Straße mit etwas größeren Häusern kamen, die offenbar bewohnt waren. Die Eingänge
wirkten gepflegt, und an den Fenstern hingen Vorhänge. Außerdem bellten Hunde – aber keine wilden Hunde, sondern Hunde mit Halsbändern.
    Ich wusste von diesem Ort, denn im Winter hatte man einige Gefangene zum Schneeschippen hierhergebracht. Hier lebten Boathwaite und die Wachen. Und irgendwo hier könnte auch das Bordell sein, von dem alle sprachen. Dies war also die Siedlung, für die wir all die Arbeit verrichteten.
    Die Wachen führten mich auf die Rückseite des größten Hauses in der Straße. Es war ziemlich hässlich, mit einer Art leberfarbenem Ziegelstein gebaut, ohne eine richtige Form, aber sehr geräumig und wuchtig.
    Ich machte einer der Wachen ein Kompliment für das Haus. Natürlich wusste ich, dass es nicht seines war, aber ich war gespannt, was er sagen würde.
    Doch er sagte nichts, blickte nur verlegen drein, spuckte aus und scharrte mit der Schuhspitze drüber.
    »Du arbeitest heute Nachmittag hier«, sagte der andere mit rauer Stimme.
    Ich blickte mich im Innenhof um. Er war düster und verwahrlost. »Und was für eine Arbeit soll das sein?«, fragte ich.
    »Der Garten hier. Du sollst ihn so wie den hinter den Baracken machen.«
    Ich ging in die Knie und rupfte einen Grasbüschel
aus. Da waren ansatzweise ein Rasen und ein paar Beete, aber eine große Linde am hinteren Ende warf ihren Schatten über den gesamten Hof. »Das wird nicht funktionieren«, sagte ich. »Es ist zu dunkel, der Baum nimmt das ganze Licht weg. Das Einzige, was ich tun könnte, wäre, ein paar Zwiebeln zu setzen, aber wir haben keine.« Das war die Art, die ich mir im Lager angewöhnt hatte: Wenn es Arbeit gab, schalteten wir prinzipiell erst

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