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Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North

Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North

Titel: Weit im Norden - Theroux, M: Weit im Norden - Far North Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Theroux
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ertragen, wie sie die Stille dieses Gartens genossen, den ich im Schweiße meines Angesichts angelegt hatte, während ich hier verrottete und Ping in der Erde verrottete und sie Eiswürfel zerstießen und so taten, als ob es uns, die wir wie Käfer in diesem Misthaufen von Baracke lebten, gar nicht gäbe.
    Und da begann ich, ernsthaft an Flucht zu denken.

4
    ICH BESCHLOSS, zu Beginn des Frühlings zu fliehen. Den Dezember und Januar über tauschte ich die meisten meiner warmen Sachen mit den anderen Gefangenen, wobei ich wartete, bis das Wetter richtig beißend war, damit ich den besten Preis für sie bekam. Sie bezahlten mich mit dem Zeug, das hier als Währung durchging: Tabak, Alkohol, Essen. All das hatte einen Wert, der auch mit einem Preisschild nicht hätte stabiler sein können. So war etwa ein Fußlappen zwei Zigaretten wert, für ein Paar Wollfäustlinge bekam man eine Flasche Selbstgebrannten und so weiter.
    Als ich genug zusammen hatte, schmierte ich den Leiter der Gefängnisschmiede, ein Bursche namens Pankratov, mich für eine Woche bei ihm arbeiten zu lassen. Zwar ließen sie mich jede Sekunde wissen, dass ich nur vorübergehend hier war, und ich musste Holzkohle schippen und die Blasebälge bedienen, aber so blieb ich aus der Kälte raus, und wenn es einmal nicht so viel zu tun gab, stellte ich aus heißem
Draht kleine Vögel und Blumen her, die ich dann an die Wachen verkaufte, damit sie sie ihren Liebsten schenken konnten.
    Aus der einen Woche wurden zwei, dann drei, und es sah ganz danach aus, als ob ich noch eine Weile bleiben könnte, aber ein paar andere in der Schmiede wurden neidisch auf den Nippes, den ich für die Wachen machte, und um den allgemeinen Frieden zu wahren, sagte Pankratov, meine Zeit sei um.
    Ich vermisste die Wärme, aber ich hatte erledigt, was ich mir vorgenommen hatte – neben den putzigen Drahtarbeiten hatte ich Teile für einen kleinen Wurfhaken gefertigt, die ich in meinen Schuhen versteckte und hinter der Latrine vergrub, während sich die Wachen an den metallenen Eulen und Vergissmeinnicht entzückten.
    Was ich von den Wachen bekam, tauschte ich bei einem der Neuankömmlinge gegen ein Paar Lederstiefel. Sie waren vom Marschieren etwas beschädigt, und so bezahlte ich einen weiteren Gefangenen, der sie reparierte.
    Einige der Alteingesessenen sagten, wie dämlich ich doch sei, zu dieser Jahreszeit so viel dafür zu bezahlen – solche Stiefel bekäme ich nicht warm, und wenn ich noch so viele Fußlappen hätte.
    Das waren die Dinge, über die wir die meiste Zeit sprachen. Jeder Gefangene war ein Experte für die
kleinen Details, die unser Leben erträglicher machten. Und im Winter trug jeder, wenn es irgendwie möglich war, Filzstiefel.
    Ich brauchte die Stiefel aber nicht für den Winter. Ich brauchte sie, um bei nassem Frühlingswetter tausend Meilen gehen zu können.
     
    Die Hälfte des Brots, das wir erhielten, nahm ich in die Baracke mit, morgens und abends, so wie viele andere Gefangene. Aber während sie es aßen oder zum Tauschen verwendeten, ließ ich meines trocknen, und sobald es hart war, trug ich es zum Kornspeicher und hängte es dort, so gut versteckt wie möglich, an Nägeln und Drähten auf, damit die Mäuse nicht herankamen.
    Ich hatte das noch nie selbst probiert, aber ich hatte gehört, dass man auf diese Weise Zwieback machte. Ich legte mehrere Lager für mein Brot an, so dass ich noch welches hatte, wenn sie eines davon entdeckten, und ohnehin dachte ich, dass ich nur einen Startproviant brauchte.
    Nachdem ich die wärmsten Klamotten verkauft hatte, setzte mir die Kälte ziemlich zu, und die Tatsache, dass ich deutlich weniger aß, war meiner Gesundheit auch nicht gerade zuträglich. Einmal unter den Kräftigsten, fing ich mir nun jedes Fieber ein, das durch die Baracken geisterte.

    Die wirklich Kranken wurden von der Arbeit freigestellt und ins Lazarett geschickt, aber dort war es so furchtbar und voller Schwindsüchtiger, dass es die meisten von uns vorzogen, mit Fieber zu arbeiten.
    Eines der wenigen Beispiele von Freundlichkeit unter den Gefangenen war, dass wir einem Gefährten in einem Arbeitstrupp durch den Tag halfen, wenn wir merkten, dass er krank war. Ich hatte das oft genug selbst gemacht: Wir gaben dem Kranken die leichtesten Bündel oder ließen ihn, wenn wir drinnen arbeiteten, an der Wand verschnaufen, so dass ihn die Wachen nicht sahen. Ich nenne das »Freundlichkeit«, aber letztlich war es nur eine Frage der Vernunft. Für

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